Kirche als gläserne Skulptur aus Fragen und Antworten
«Sprich mit mir!» ist eine Einladung zum Dialog. Der Einladende ist der Installationskünstler Till Velten. Er ist eine Art Bildhauer des Wortes, den Steinbruch für seine Skulpturen bilden Gespräche. Für sein Kunstprojekt im Grossmünster hat er sich einen besonderen Raum ausgesucht, er bespielt sozusagen das Allerheiligste: die den zwölf Aposteln geweihte Zwölfbotenkappelle. Vor der Reformation lagen hier die Gebeine der Stadtheiligen. Vorne im Chor führt rechts eine Treppe hinab in die wenig bekannte, ehemalige Gruft.
Wer hinabsteigt findet dort ein schlichtes Ensemble aus drei Sitzbänken in deren Mitte zwei rundliche Glaskörper liegen. Der Raum liegt in bläulichem Licht, und aus den Boxen ertönen vermischt mit Bachkantaten Gesprächssequenzen. Es sind Zitate aus Interviews, die der Künstler mit 12 Mitarbeitenden am Grossmünster geführt hat – von der Türöffnerin über den Kantor bis zu den Pfarrern. Damit die Installation nicht nur akustisch-abstrakt bleibt, verkörpern die zwei mundgeblasenen Glaskugeln in der Mitte das Ein- und Ausatmen im Dialog.
Zitate von der Türöffnerin bis zu den Pfarrern
«Der Beruf des Pfarrers ist für mich die Berufung, dass ich immer für den, dem ich zum Nächsten geworden bin, verantwortlich bin, und zwar immer in Gottes Namen.» Das etwa hat der sich verabschiedende Grossmünster-Pfarrer Christoph Sigrist dem Künstler beim Gespräch im Bullingerzimmer des Pfarrhauses gesagt. Und Susanna Schibli, die im Präsenzdienst des Grossmünsters arbeitet, antwortete Velten auf die Frage nach ihrem Verhältnis zur Kirche: «Als Kinder haben wir immer wahrgenommen, dass da mehr sein muss, und sind immer auf der Suche gewesen. Und ich bin sehr glücklich, dass ich jetzt in diesem Umfeld zuhause bin. Die Begegnungen mit den Menschen sind grossartig.»
Die Idee hinter der Kunstinstallation: Kirche ist immer auch eine soziale Skulptur, gebaut aus der verbalen Interaktion der Mitwirkenden. Das Grossmünster war immer schon ein Gesamtkunstwerk, in welchem Menschen fragten und nach Beziehung suchten, sagte der andere Grossmünsterpfarrer Martin Rüsch anlässlich der Präsentation des Kunstprojekts. «Es sind Menschen, die seine Geschichte ausmachen und weiterschreiben. Menschen, die auf ihre eigene Weise Kirche erfahren, über Leben und Glauben nachdenken. Kirche formt und überformt sich stets mit Menschen.»
Eine Einladung zum Dialog
Rüsch ist Mitglied der Arbeitsgruppe «Kunst in der Krypta», welche Till Velten und sein Projekt ausgewählt hat. Dort, wo Bild und Wort seit jeher im Gottesdienst zusammenwirkten, passe die gewählte Umsetzung aus Kunst und Sprache ideal zum Standort. Ob in der Kirche oder in der persönlichen Begegnung – das Wort ist immer ein Türöffner für eine Verbindung. Der programmatische Titel «Sprich mit mir» richtet sich drum ganz klar auch als Aufforderung an die Besucherinnen und Besucher.
Till Velten ist ein blaues, kirchliches Befragungskunstwerk gelungen, das auch zum Selberantworten anregt. Im vom Vexer-Verlag hübsch gestalteten, tagebuchartigen Begleitbuch zur Ausstellung gibt der Künstler die für ihn zwölf wichtigsten Fragen aus den Interviews preis. Dazu gehören: Warum soll ich eine Kerze anzünden? Betest du? Warum soll ich glauben? Macht predigen glücklich? Welches Lied wünschst du dir zu deiner Beerdigung? Oder: Kann Musik heilen? Wie würden Ihre Antworten lauten?
Ausstellung: Till Velten: Sprich mit mir – Eine Installation in der Zwölfbotenkapelle. Bis 13. März 2024, Grossmünster Zürich.
Buch: Till Velten: Sprich mit mir – Gesprächsskulpturen. Vexer Verlag 2024
Kirche als gläserne Skulptur aus Fragen und Antworten