«Kirchen könnten viel von der Metalszene lernen»
Herr Hug, Sie nennen sich selbst «Metal-Pfarrer». Wie sind Sie dazugekommen?
Das ist eine lange Geschichte. Ich war kein rebellischer Teenager, setzte mich aber schon früh mit Rockmusik auseinander. Auch die härtere Version gefiel mir sehr. Anfangs konnte ich aber noch wenig mit den Menschen anfangen. Doch mit der Zeit und der Leidenschaft wuchs ich da hinein.
Was zeichnet denn die «Metaller» aus?
Einerseits ist es sicher das Äussere, die Kleidung, der Stil. Andererseits zeigt es sich vor allem in der Haltung. Metaller pflegen eine provokative, ehrliche Offenheit. In der Szene schaut man nicht weg beim Schwierigen. Man sehnt sich nach Ehrlichkeit und Wahrheit, «Trueness» nennen wir das.
Das allein macht aber noch keinen Metal-Pfarrer.
In meiner Kindheit zu Hause waren der Glaube und Gott immer präsent. Für mich kommt Kreativität immer durch Gott. Und vor einigen Jahren hatte ich nach einem Gottesdienst am Elements of Rock, einem christlichen Festival, ein Erlebnis: Ein Musiker kam zu mir und sagte, er habe die Vision einer Herde schwarzer Schafe gehabt – und deren Hirte sei ich gewesen. Neben meiner eigenen Leidenschaft für die Musik und die ganze Subkultur kam so noch ein Anstoss von aussen hinzu.
Braucht es für Sie immer einen Bezug zum Glauben in der Musik?
Nein. Iron Maiden zum Beispiel finde ich eine grossartige Band – leider wurde sie teilweise missverstanden von der Kirche. Im Übrigen mag ich Abwechslung und fast sämtliche Spielarten im Metal. Etwas weniger anfangen kann ich mit Metalcore oder Industrial, also eher elektronisch geprägten Richtungen.
Im Juni waren Sie im Seelsorgeteam am deutschen Wacken-Festival. Wie kamen Sie dazu?
Ich hatte schon vor ein paar Jahren gehört, dass es das gibt. Und ich fand – und finde immer noch –, dass das eine tolle Art diakonischer Präsenz ist. Schon von Anfang an dachte ich, dass ich so etwas gerne auch in der Schweiz machen möchte. Aber zuerst wollte ich es selbst erleben.
Und wie war es?
Toll! Es ist schon grundsätzlich ein Erlebnis, am Wacken zu sein, sozusagen im «heiligen Land» der Metaller. Auch als Seelsorger habe ich es spannend erlebt. Die Bandbreite der Probleme, mit denen die Leute zu uns kamen, war extrem gross: von Beziehungsstress über Streitereien, das Alleinsein in der riesigen Masse, Überforderung mit Problemen zu Hause bis zu gröberen psychischen Problemen. Dabei war auch die Zusammenarbeit mit der Sanität sehr gut.
Wurden Sie auch angepöbelt?
Das nicht, aber faule Sprüche gab es schon ab und zu. Doch ich empfand das als gut, häufig entwickelten sich auch interessante Gespräche aus solchen Begegnungen, auch mit viel Humor.
Die Metaller sollen trotz – oder sogar wegen – der harten Musik sehr friedlich sein. Wie erlebten Sie das?
Das würde ich unterschreiben. Ein Security-Mann am Wacken sagte, an Hip-Hop-Festivals gebe es viel mehr Aggressivität unter dem Publikum. Ich denke, Metaller haben Kanäle, um konstruktiv mit dem Schwierigen umzugehen. Man weicht ihm nicht aus, aber es ist ein kanalisierter Umgang mit der Aggressivität. Und mir fiel deutlich auf, dass die Leute untereinander sehr friedlich und fürsorglich waren; man schaut zueinander. Ich glaube, Kirchen könnten viel von der Metalszene lernen.
Wenn Sie nun in der Schweiz Seelsorge an einem Festival anbieten könnten: Würden Sie etwas anders machen?
Die Seelsorge am Wacken wird im Auftrag des Festivals durch die Landeskirche organisiert. Ich würde ein vergleichbares Angebot noch gerne stärker von der Metal-Kultur geprägt sehen.
Wann ist es denn soweit?
Das kann ich noch nicht sagen. Ich werde demnächst bei einem Festival anfragen. Und ich hoffe, dass es weitere Kreise zieht. Selbstverständlich habe ich die Metalszene im Auge, aber das Angebot würde natürlich auch an anderen Festivals Sinn machen. Wichtig ist meiner Ansicht nach einfach, dass Leute der entsprechenden Subkultur beteiligt sind.
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Marius Schären / reformiert.info / 23. August 2016
«Kirchen könnten viel von der Metalszene lernen»