Baselland, Basel-Stadt, Luzern, Schaffhausen, Schwyz, Solothurn, Uri, Zug

Knapp der Platz, gross die Entzückung

min
27.07.2016
Glocken-Latein, leichter Schwindel und eine atemberaubende Aussicht: Einmal im Monat findet im Turm des Berner Münsters eine gediegene Vollmondführung statt. ref.ch hat sich in die luftige Höhe gewagt.

Diese Tour geht ganz schön in die Beine. 344 Stufen hinauf und wieder runter – als Gefühl begleitet einen dabei ein interessantes Gemisch aus Klaustrophobie und Höhenangst. Im kühlen Kirchenschiff erzählt Turmwartin Marie-Therese Lauper an diesem Juliabend zunächst von der Geschichte des Münsters: 150 Jahre wurde an ihm gebaut, wobei unter anderem Geldsorgen und eine «Reformation, die dazwischenkam» die lange Zeit erklären. Der Turmhelm wurde erst im 19. Jahrhundert aufgesetzt und machte den Kirchturm mit genau hundert Metern und 60 Zentimetern zum höchsten der Schweiz.

Pamir auf und ran an die Glocke

Lauper sendet die rund 30 Gäste nun hinauf in die «untere Glockenstube», wo es einiges wärmer ist. Rund 30 Tonnen Glocken sind hier «vergossen», darunter die älteste von 1280 – «älter als die Eidgenossenschaft», wie Lauper bemerkt – sowie die schwerste, die sogenannte «Grosse Glocke» mit zehn Tonnen.

«Sie ist auf den Ton E gestimmt, E für Erfüllung und Erfolg», erläutert Lauper, setzt sich einen Pamir auf und lässt den riesigen Klöppel mit Schwung auf die Glocke treffen. Ein gewaltiges metallisches Dröhnen lässt den Raum erzittern. Die Anwesenden gehen darauf unter die Glocke und erspüren minutenlang das Nachsummen dieses Rieseninstruments.

Staus und Knäuel

Nun geht’s weiter nach oben auf der engen Sandstein-Wendeltreppe. Auf der ersten luftigen Galerie, rund 46 Metern über dem Münsterplatz, geniesst man den atemberaubenden Blick über die Stadt und den Erdkreis. Eng ist es, man steht sich ein bisschen auf den Füssen herum, und etliche Male entstehen kleine Staus und Knäuel. Zum Glück weht hier oben aber auch ein angenehmes Lüftchen.

In exquisiter Wohnlage, mitten über der Altstadt, befindet sich hier eine aparte Dreizimmerwohnung mit achteckigem Grundriss und Jahrgang 1896. Bis 2007 bewohnte sie tatsächlich ein Turmwart mit Familie, heute residiert hier temporär die Münsterbauhütte, und bald soll die Wohnung nur noch das Turmwartbüro beherbergen und für Events vermietet werden. Auf dem WC deutet ein Schild den speziellen Ort an: «Fenster schliessen am Abend! Wenn Westwind mit Regen geht, das Wasser dir sonst bald zum Knöchel steht!»

Wie kommt das Klavier in den Turm?

Man kann sich hier eine Sturmnacht dank Zentralheizung recht behaglich vorstellen. Nur der Lift fehlt, und es wird auch keiner kommen, «schliesslich ging es 600 Jahre ohne». Das Problem ist somit, wie man Organgensaft, Bier, Geschirr und weitere Dinge durch die enge Wendeltreppe nach oben bringt. Es braucht einen Sherpa dazu, in unserem Fall ist es der Mann von Marie-Therese Lauper. «Als die Wohnung noch bewohnt war, musste einmal ein Klavier nach oben gebracht werden. Das ging nur mit einem Kran, tout Bern war bei der Aktion dabei», erzählt Lauper, die selber drei- bis viermal pro Tag den Weg unter die Füsse nimmt.  

Wer es noch luftiger mag, erklimmt die zweite Galerie auf 64 Metern Höhe. Hier läuft die Höhenangst der Klaustrophobie den Rang ab. Die Aussicht ist aber spektakulär, und man sieht Gurten, Aare, Bundeshaus, blickt in das Dächergewirr und die Gärtlein, kleine Oasen zwischen den hablichen Berner Gassen.

Wie einst Mark Twain

Schliesslich gibts um 21 Uhr einen luftigen Apéro auf der ersten Galerie, und es wird so gemütlich, dass man beinahe den Mondaufgang um 21.25 Uhr verpasst hätte – wie einst Mark Twain den Sonnenaufgang auf der Rigi. Die Besucherschar drängt sich nun auf Südseite der Galerie, «ah» und «oh» wird gerufen, während der Mond schnell am Horizont aufgeht. Knapp ist der Platz, gross die Entzückung, die Smartphone-Kameras sind im Dauereinsatz.

Die Besucher wären gerne länger geblieben – aber auch Marie-Therese Lauper hat einmal Feierabend. Also gehen wir entlang einer Leuchtschlange alle Stufen wieder hinunter, wo man mit leichtem Linksdrall und etwas Schwindel auf dem Boden landet. «Nehmen Sie von unserer Grossen Glocke das E mit – Erfolg und Erfüllung», wünscht Lauper der beglückten Schar und entlässt sie in das summende Berner Nachtleben.

Matthias Böhni / ref.ch / 27. Juli 2016

 

Unsere Empfehlungen

Wie das Christentum zu den Ostereiern kam (1)

Wie das Christentum zu den Ostereiern kam (1)

Ostern ist der höchste Feiertag für die Christenheit. An diesem Tag feiern die Gläubigen die Auferstehung des Herrn. Doch wer in diesen Tagen die Läden betritt, stellt rasch fest: Der eigentliche Star heisst Meister Lampe. Wie kommt das Christentum zu den Eiern und den Hasen?
51 Jahre für die Musik

51 Jahre für die Musik

Als 15-Jährige spielte Elisabeth Schenk erstmals in einem Gottesdienst. Der Winznauer Pfarrer hatte sie angefragt. Aus diesem Auftritt wurden 51 Jahre, in denen Schenk die Kirch­gemeinde musikalisch begleitete.
Mani Matter: Die Menschen haben Gott vergessen

Mani Matter: Die Menschen haben Gott vergessen

50 Jahre nach Mani Matters Tod zeigen neue Dokumente: Der Chansonnier war auch ein Gottsucher und plante gar eine «Verteidigung des Christentums». Der Revoluzzer und gedankliche Querschläger war zwar ein Kritiker der Kirche, setzte sich aber für die Bewahrung des christlichen Fundaments ein.