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Fokus «Hunger frisst Zukunft»

Königliche Knolle, tödliche Knarre

von Katharina Meier
min
05.03.2025
Sie hat ihre Augen am ganzen Körper, sah aber ihren Siegeszug als weltweites Nahrungsmittel nicht kommen. Sie ist Segen, mit Fäulnis aber Fluch und brachte Hunger und Elend über viele Landstriche. Heute ist die Kartoffel eine Ikone, mit und ohne Ketchup oder Mayonnaise. 

Als Nachtschattengewächs vor ca. 5000 Jahren bei andinen Siedlungsgemeinschaften in Südamerika domestiziert, nannten sie mich «papa». Entdeckt von den Spaniern, um 1562 verschleppt nach Europa und auf die Kanarischen Inseln, wo sie mich heute noch «papa» nennen, wurde ich später zur «patata». Ohne Umweg, so heisst es, gelangte ich auf die Britischen Inseln und nach Irland. Während es auf dem Festland noch einige Generationen dauerte, bis in mir nicht nur die botanische Kostbarkeit gesehen wurde, sondern auch die essbare, war ich im 17. Jahrhundert in Irland schon bald heimisch. Hier füllte ich die Mägen, nachdem sie mich von Hand aus dem steinigen, schlechten Boden scharrten. 

Einzige Nahrungsgrundlage

Das Land dieser grünen Insel gehörte aber nicht der einheimischen Bevölkerung. Englische Grossgrundbesitzer machten sich hier breit. Und es kümmerte sie nicht, als der zoll-freie, amerikanische Exportschlager Kartoffelfäule im irischen Boden sich einnistete, Ernte um Ernte der Iren zerstörte. Vielmehr waren die Herren überzeugt, dass die Hungerkatastrophe die Überbevölkerung regulieren könne. Ein aufsässiger Ire mehr oder weniger kümmerte um 1845 die englische Bildungsschicht nicht, im Gegenteil. Eine Million Menschen starb, zwei Millionen Iren mussten auswandern.

Damals haben wir überlebt, indem wir jeden Tag eine Kartoffel und Mehl kochten.

Der Hunger als Waffe zeigte seine Fratze. Die Knarre traf mitten ins Herz, so wie 146 v. Chr., als die Römer Karthago umzingelten und die Stadt aushungerten, oder in den 1930er-Jahren, als Stalin die ukrainischen Bauern zu immensen Getreideabgaben zwang; der sogenannte Holodomor raffte ca. 3,5 Millionen Menschen am Hunger dahin. «Damals haben wir überlebt, indem wir jeden Tag eine Kartoffel und Mehl kochten», erzählt Maria Gontscharowa aus der Region Charkiw gegenüber dem «Bund». Der russische Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 weckt Erinnerungen an den Hunger, den sie als kleines Mädchen litt.

Anbauschlacht in der Schweiz

Einen Verbreitungsschub erfuhr ich als Kartoffel auch in der Schweiz in der Hungerkrise 1770 – 1771. Und während des Zweiten Weltkriegs schwang ich mich zur königlichen Knolle empor: Während der «Anbauschlacht» wurde ich an jedem möglichen und unmöglichen Ort in die Erde gedrückt. Die Anbaufläche stieg von 47 000 Hektaren 1939 auf 89 900 Hektaren 1944, und das Leid sank.

2021 sind aus mir etwa elf Millionen Tonnen tiefgefrorene Pommes entstanden.

Damals kam ich schon als «Rösti» auf den Tisch, wobei dieser Begriff erst Anfang des 20. Jahrhunderts aufkam und auch nichts mit Bundesräten zu tun hat. Vielmehr ist der Name auf «Röstkartoffeln» oder «geprägelte Kartoffel» zurückzuführen. Kurz darauf nahm mich die Industrialisierung in Beschlag. Als Chips, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, «chrose» ich tausendfach im Kauapparat. Als Kartoffelpüreeflocken, mit Milch vermengt, bin ich noch heute als hellgelber Brei (Stock genannt) auf dem Teller, wo nicht nur Kindern mit heller Begeisterung ein «Seeli» baggern und es mit Sauce füllen.

Ikone der Fastfoodkultur

Unschlagbar aber bin ich heiss gebadet, im Öl frittiert, goldbraun, in Stengelchen geschnitten, mit Salz bestreut: Pommes frites. Erstmals wurde ich im 17. Jahrhundert in Belgien in der Region Namur so zubereitet. Dort sollen Fischer kleine Fische frittiert haben. Als die Flüsse im Winter zufroren, schnitten sie mich in Fischform und frittierten mich als Ersatz. Heute bin ich globale Ikone der Fastfoodkultur, an jeder Ecke kaufbar – auch dank der Erfindung der Fritteuse um 1860. 2021 sind aus mir etwa elf Millionen Tonnen tiefgefrorene Pommes entstanden. Ich bringe es auf einen globalen Marktwert von über 19 Milliarden US-Dollar. Als Nachtschattengewächs in den Anden gediehen, werde ich heute fast überall in der Welt auf 17,8 Millionen Hektaren Land angepflanzt, 383 Millionen Tonnen waren es 2023. Als «papa» geboren, bin ich heute die grosse Mutter des Sattwerdens.

Ökumenische Fastenkampagne 2025

Am 5. März startet die diesjährige ökumenische Fastenkampagne von Heks und Fastenaktion. Diese markiert den Beginn eines dreijährigen Zyklus, der sich mit den Ursachen und Folgen von Hunger beschäftigt. Die Kampagne 2025 trägt den Titel «Hunger frisst Zukunft!». Sie will aufzeigen, dass Hunger und Unterernährung keine unüberwindbaren, natürlichen Phänomene sind, sondern durch menschliches Handeln entstehen und die Zukunftsaussichten ganzer Gemeinschaften im Globalen Süden bedrohen.

www.sehen-und-handeln.ch

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