Konzernverantwortung: «Die Initiative sorgt für mehr Gerechtigkeit»
Im November stimmt das Schweizer Volk über die Konzernverantwortungsinitiative KVI ab. Eveline Schärli-Fluri wird in den kommenden Tagen orange KVI-Wimpel ans Velo anbringen und unzählige Postkarten an Bekannte schreiben, um sie zum Ja zu bewegen. Die orange Abstimmungs-Fahne hängt schon lange vor ihrem Haus in Kappel.
Die Katechetin hat sich ihr Leben lang in der Kirche und anderen Institutionen engagiert. Als Synodalrätin in der Reformierten Kirche Kanton Solothurn und in der Offenen Kirche Region Olten. Auch die Offene Kirche sei für die KVI, erklärt Schärli. «Der Vorstand befürwortet es, dass Schweizer Firmen und ihre Tochterunternehmen auch im Ausland die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten müssen.»
Für Schärli gehört dieses politische Engagement zur Aufgabe der Kirchen. «Die Kirche hat den klaren Auftrag, für Menschenrechte und Nächstenliebe einzutreten.» Daran lasse die Bibel keinen Zweifel, Jesus forderte Gerechtigkeit für die Armen. «Er verbot nicht den Handel, sondern prangerte die Gier an, als er die Händler aus dem Tempel trieb. Wenn die Kirche jetzt schweigt, unterstützt sie Firmen, die etwa auf Kinderarbeit setzen.» Deshalb müsse die Kirche Partei für die KVI ergreifen, ist Schärli-Fluri überzeugt.
Seit mehr als 30 Jahren für den fairen Handel
Eveline Schärli-Fluri wirtschaftet auch, seit mehr als 30 Jahren, «aber fair», wie sie betont. Der Claro-Weltladen Hägendorf liegt etwas zurückgesetzt an der lärmigen Strasse, die von Hägendorf in die Teufelsschlucht führt. Ca. 80 000 Franken Umsatz macht der Laden im Jahr. Schärli und die anderen Freiwilligen arbeiten unentgeltlich. Für die Präsenz am Morgen erhalten sie einen Ladengutschein im Wert von 10 Franken, für den Nachmittag einen für 20 Franken. So gebe sie alles hier wieder aus, sagt Schärli und lacht. «Aber es lohnt sich, denn Claro hat ausgezeichnete Produkte, die zudem Existenzen in der Dritten Welt ermöglichen.»
Zu den Produkten hat Schärli eine innige Beziehung. Sie kennt die Produktion, die Geschichten und die Menschen, die sie herstellen. Das Angebot der Claro-Läden reicht vom Reis aus Italien und Asien,Schokolade aus Afrika, Kaffee aus Asien, Afrika, Südamerika, Pesto und Teigwaren aus Italien, Olivenöl aus Palästina und Albanien bis hin zu Gewürzen, Kunsthandwerk und Modeaccessoires aus vielen Ländern aus dem Weltsüden. In Hägendorf verkauft der Claro-Weltladen zusätzlich biologischen Wein.
Eveline Schärli ist überzeugt, dass fair Handeln Gewinn abwirft, zukunftsweisend ist und Erfolg hat. Sie hat noch die Anfänge der Fairtrade- Bewegung erlebt, damals, als ein paar Mütter um die Pfarrfrau Ursula Brunner mit ihren Kindern in Frauenfeld vor der Migros gegen den Verkauf der Bananen der US-Konzerne protestierten. Mit dem Slogan «Warum ist eine Banane billiger als ein Apfel?» sensibilisierten sie in den 1970er-Jahren die Öffentlichkeit für die sozialen und ökologischen Missstände im Handel und wurden wegen Forderungen wie «Jute statt Plastik» als Öko-Freaks und «Umwelt-Jesus» belächelt. Doch die Bewegung entwickelte sich zu einem potenziellen Markt und zum politischen Faktor. Das Fairtrade-Label «Max Havelaar» eroberte die Grossisten und steht heute im Sortiment von Migros, Coop, Aldi und Lidl.
Die Wertschöpfung bleibt in den Ländern
Die Claro-Läden hingegen blieben sich treu und setzen weiterhin auf 100 Prozent gerechten Handel. Die Fair-Afrika-Chocolat werde in Ghana produziert, der Solina-Kaffee in Äthiopien, erzählt Schärli. «So bleiben die Arbeitsplätze, die ganze Wertschöpfung in diesen Ländern und die Bevölkerung ist nicht mehr gezwungen, nach Europa und in die Schweiz zu emigrieren.» Die Annahme, der KVI hätte die gleichen Folgen, ist die 63-Jährige überzeugt. «Die Menschen in der Dritten Welt könnten vermehrt von ihrer Arbeit leben und müssten nicht auswandern.» Eigentlich sei es ja selbstverständlich, dass Schweizer Unternehmen die Menschenrechte und Umweltstandards einhalten, hier und weltweit, fügt Schärli hinzu.
Um zu beweisen, dass sich Fairtade lohnt, greift sie ins Gestell und zieht eine Packung Teigwaren hervor, auf der «Gino Girolomoni» steht. Gino war Bürgermeister in der kleinen Gemeinde Isola del Piano. In den 1970er-Jahren gab es keine Arbeit, etliche Bewohner hatten die Region verlassen, die Häuser und das Kloster zerfielen.
1977 gründete Gino eine Genossenschaft mit dem Ziel, durch die biologische Herstellung und den Verkauf von Produkten die lokale Wirtschaft anzutreiben, die Landflucht aufzuhalten und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Und das sei gelungen, sagt Eveline Schärli-Fluri. Sie möchte unbedingt einmal dieses Dorf besuchen. Die Geschichte falle ihr immer ein, wenn sie diese fantastische Pasta zubereite.
Tilmann Zuber
Konzernverantwortung: «Die Initiative sorgt für mehr Gerechtigkeit»