Kraftvolles Zeichen für den Frieden
Die Szenerie war wie beim Empfang eines Popstars. Wohl noch nie zuvor hatte sich vor dem Grossmünster eine derart lange Warteschlange gebildet wie am Samstagmorgen um 9 Uhr. Vom Eingang zur Kirche über mehrere hundert Meter hinweg durch die Münstergasse bis hin zur Marktgasse standen sie. Im Regen harrten sie aus, all die Menschen, die «ihren» Dalai Lama sehen wollten. Auf dem Zwingliplatz war ein Public-Viewing-Grossmonitor eingerichtet, für diejenigen, die drinnen keinen Platz fanden. Sicherheitsleute, Polizei, Sanitäter standen eingriffsbereit. Eine Gruppe Tibeter begrüsste mit einem Transparent den 14. Dalai Lama, «the greatest gift from Lord Buddha», das grösste Geschenk Buddhas an seine Glaubensgemeinschaft.
Bis auf den letzten Platz war denn das Grossmünster gefüllt, als seine Heiligkeit, der Dalai Lama, um 10.15 Uhr, mit einer Viertelstunde Verspätung eintraf. Grossmünsterpfarrer Christoph Sigrist begrüsste das Oberhaupt der Tibeter als «my brother». Auf Einladung des Forums der Religionen fanden sich neben dem Dalai Lama auch ein Rabbiner, ein Imam, eine reformierte Pfarrerin, eine katholische Seelsorgerin sowie ein hinduistischer Vertreter zum interreligiösen Friedensgebet zusammen. «Verwurzelt in unseren je eigenen religiösen Traditionen und Verankerung wollen wir uns zum gemeinsamen Gebet für den Frieden vereinen», sagte Sigrist und bat alle Besucher, das Handy abzustellen. Die anwesenden Fotografen sollten das Fotografieren bleiben lassen, sich stattdessen in die Gebetsgemeinschaft hineinbegeben.
Frieden herbeiführen
Das interreligiöse Gebet geriet in der Folge zu einem kraftvollen Zeichen für den Frieden. Acht tibetische Mönche des Klosters in Nikon setzten zum Sprechgesang an, gefolgt vom Gebet von Imam Bilal Yaldiz aus Zürich. Rabbiner Tovia Ben-Chorin aus St.Gallen mahnte, dass die Menschen nicht auf die Welt gekommen seien für Streit, Hass und Blutvergiessen, sondern um Gott zu erkennen, der den Frieden auf der Welt herbeizuführen vermöge. Die beiden Zürcher Pfarrerinnen Hanna Kandal, reformierte Pfarrerin in Schwamendingen, und Rahel Walker Fröhlich, Pastoralassistentin der katholischen Kirche im Kanton Zürich, baten mit eindringlichen Worten um Frieden und Gerechtigkeit auf Erden.
Seitens der anwesenden Politprominenz - auch der Stadtrat von Zürich war nach anfänglicher Absage aufgrund chinesischer Druckversuche mit Stadtpräsidentin Corinna Mauch und Sicherheitsvorsteher Richard Wolff anwesend - erinnerte Regierungsratspräsident Mario Fehr daran, zwischen Christen, Buddhisten, Hindus, Juden und Muslimen gebe es mehr Gemeinsames als Trennendes. Es komme im Namen von Religionen immer wieder zu Konflikten auf der Welt. «Doch es sind nicht die Religionen an sich, sondern Menschen, die sich diese Religionen zunutze machen, die sie missbrauchen.» Unterdrückung, Gewalt und Terrorismus liessen sich durch keine Religion rechtfertigen, und wer diese einsetze, dürfe für sich keine Religion in Anspruch nehmen.
Das Gemeinsame überwiegt
Der Dalai Lama sprach über Gewaltlosigkeit und globale Verantwortung. In klaren, einfachen Worten, wie man es kennt von ihm. «In genau diesem Moment erleben viele Menschen Schreckliches, leider oft im Namen der Religion», sagte der Dalai Lama. Er erinnerte daran, dass unter den Menschen die Gemeinsamkeiten überwiegen, nicht das Trennende, und plädierte dafür, den Geist der Gemeinschaft zu stärken. Geografische, religiöse oder philosophische Grenzen existierten nicht, betrachte man die Erde aus dem Weltall heraus. Jeder einzelne Mensch sei gehalten, die Friedensmission selber anzupacken, sie nicht einfach an die Götter zu delegieren. Der Mensch habe die Möglichkeit, Frieden zu kreieren, es sei ja auch der Mensch, der die Konflikte schaffe.
Die Atmosphäre des Friedens und des Gemeinschaftsgefühls übertrug sich sichtlich auf die Menschen im und vor dem Grossmünster, die sich nach dem Anlass wieder in alle Richtungen verteilten. Der Dalai Lama fand sich danach noch mit den Geistlichen der andern Religionen auf kulinarischem Gebiet zusammen: Gemeinsam assen sie - auf expliziten Wunsch des 81-jährigen Oberhaupts der Tibeter - «Züri Gschnätzlets», zubereitet vom syrisch-kurdischen Vater der Flüchtlingsfamilie, die in der Grossmünstergemeinde während eines halben Jahres Unterkunft gefunden hatte.
Stefan Schneiter / reformiert. / 17. Oktober 2016
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
Kraftvolles Zeichen für den Frieden