Lambarene ist überall
Das grosszügige Wohnzimmer von Walter und Jo Munz ist voller Bücher und afrikanischer Kunst. Die Stube spiegelt das Leben des Ehepaares, das jahrelang in Afrika gearbeitet hat. Für die beiden bedeutete die Zeit in Lambarene mehr als Arbeit. Sie war Berufung. Wenn Walter Munz über den Urwaldarzt, Theologen, Philosophen, Schriftsteller und Organisten Albert Schweitzer spricht, fährt er immer wieder auf, eilt zum Bücherregal, um das eine oder andere Buch von Schweitzer zu holen und daraus zu zitieren.
Seelenverwandtschaft
Die Persönlichkeit von Albert Schweitzer hat Walter Munz schon in seiner Jugend fasziniert. Als Gymnasiast fand er in der Bibliothek des Vaters Schweitzers Buch «Zwischen Wasser und Urwald», das ihn stark prägte und für ihn richtungweisend wurde.
Die Gestalt evtl. Persönlichkeit? des Urwaldarztes liess ihn nicht mehr los. Er studierte Medizin. Als er in der Ärztezeitung in einem Inserat las, dass das Spital in Lambarene einen Mediziner suchte, bewarb er sich für diese Stelle. 1961 verliess er für zweieinhalb Jahre die Schweiz und lernte Albert Schweitzer kennen.
Die beiden Männer verband eine Seelenverwandtschaft. Es war die Mischung aus Engagement und christlichem Glauben. Für Schweitzer bildete seine Philosophie von der Ehrfurcht vor dem Leben keinen Gegensatz zum Ruf in die Nachfolge Christi. Im Gegenteil, beide Anschauungen/Lehren stammten aus dem gleichen Anliegen. «Wenn ich es als meine Lebensaufgabe betrachte, die Sache der Kranken unter fernen Sternen zu verfechten, berufe ich mich auf die Barmherzigkeit, die Jesus und die Religion befehlen. Zugleich aber wende ich mich an das elementare Denken und Vorstellen», zitiert Munz aus «Zwischen Wasser und Urwald».
Als Walter Munz 1963 in die Schweiz zurückkehrte, um sich in der Chirurgie fortzubilden, erreichte ihn die Anfrage von Albert Schweitzer, er möge doch die Leitung des Spitals übernehmen. Zweimal lehnte er ab. Schliesslich gab er nach und reiste 1964 erneut nach Lambarene. Ein Jahr später starb der Urwalddoktor im Alter von 90 Jahren. Munz übernahm die Leitung des Spitals.
Schweitzer war humorvoll und bescheiden
Wenn Walter und Jo Munz von Albert Schweitzer erzählen, spürt man die hohe Achtung und Liebe, die sie für diesen Mann empfinden. «Schweitzer», sagt Walter Munz, «das war eine unglaublich versammelte Kraft von Güte, Einfachheit und tiefem Glauben. Er war ein Universalmensch, jedoch nie abgehoben oder arrogant, sondern humorvoll und leutselig.» Am Abend sass er mit den dreissig Mitarbeitenden zusammen am Tisch. Man erzählte vom Tagesgeschehen. Und Schweitzer unterhielt sich glänzend.
Für ihn waren alle Menschen gleich, egal ob es prominente Gäste waren, die immer zahlreicher nach Lambarene reisten, oder einfache Patienten. «Er behandelte alle gleich», erzählt Walter Munz. «Nicht ganz», wendet Jo Munz ein, «er machte, einen kleinen Unterschied»: Stand hoher Besuch an, band sich der Urwalddoktor seine legendäre schwarze Fliege um.
Schwarze und Weisse miteinander
Jo Munz arbeitete als Hebamme in Lambarene und verliebte sich in Schweitzers Nachfolger Walter Munz. 1968 heirateten die beiden in Lambarene. Ein afrikanischer Pfarrer traute sie.
Als Jugendliche war der Holländerin ihre Heimat zu eng geworden und sie wanderte nach Südafrika aus. Die Apartheid, die sie dort antraf, schockierte sie zutiefst. Sie wollte mit Afrikanern zusammenarbeiten. In Johannesburg jedoch durfte sie einem Schwarzen nicht einmal die Hand geben. Wollte sie sich mit einem Afrikaner unterhalten, musste sie sich mit ihm heimlich im Versteckten treffen.
Das konnte Jo Munz nicht akzeptieren. Sie bewarb sich in Albert Schweitzers Spital um eine Stelle und verliess Südafrika. Lambarene wurde ihr zur Heimat und Offenbarung. Als sie mit dem Boot den Ogowe hinauffuhr und im Spital ankam, läuteten die Glocken, und Schwarze und Weisse standen zusammen am Ufer, um die Anreisenden zu empfangen. «Hier kann ich glücklich sein, dachte ich in diesem Moment», erzählt sie. «Ich kam aus einem Land, in dem man Schwarze hasste, in ein Land, in dem man sie achtete. Hier war alles anders. In der Klinik und in den Labors arbeiteten wir Hand in Hand mit Afrikanern.» Jo Munz Begeisterung ist auch nach Jahrzehnten noch zu spüren.
Briefe an Kennedy und Chruschtschow
In den letzten Jahren vor Schweitzers Tod erlebte Walter Munz, wie sehr die atomare Bedrohung den Urwalddoktor beschäftigte. Albert Schweitzer informierte sich in zahlreichen Militärzeitschriften und Fachbüchern über die Atombombe und schrieb an Politiker wie Präsident John F. Kennedy und Nikita Chruschtschow, die ihm persönlich antworteten.
1963 kam Walter Munz eines Abends zu Schweitzer. Dieser erklärte ihm, jetzt sei etwas Wichtiges geschehen. Die USA und die UdSSR hätten einen Stopp der Atomwaffenversuche vereinbart. «Die politische Haltung war wie alles in seinem Leben die Konsequenz aus seiner Ethik der Ehrfurcht vor dem Leben», erzählt Walter Munz: «Die Ehrfurcht galt nicht nur den Menschen, sondern auch den Tieren und Pflanzen.»
Auch später, als das Ehepaar Munz in die Schweiz zurückgekehrt war, liess Lambarene sie nicht los. Walter Munz engagierte sich im Stiftungsrat der internationalen Albert Schweitzer Stiftung. Immer wieder reiste er in dieser Funktion nach Afrika und baute ein Netzwerk auf. «Gerade Basel war für den Elsässer Albert Schweitzer lange Zeit die Drehscheibe in Europa», erklärt Walter Munz: «Ohne die Hilfe von Persönlichkeiten wie Pfarrer Hans Baur und seinem Sohn Herrmann Baur, ohne Anita und Fritz Dinner, ohne die Ärzte Rolf Müller, Rudolf Ritz und Pfarrer Clemens Frei wäre vieles in Lambarene nicht möglich gewesen.»
1991 erreichte Jo und Walter Munz erneut ein Ruf, diesmal aus Zürich. Jo Munz sah in einer Ärztezeitung, dass Pfarrer Ernst Sieber einen Arzt suchte. Ohne etwas zu sagen, legte sie ihrem Mann das Inserat hin. Walter Munz bewarb sich und übernahm bis zu seiner Pensionierung die Leitung der Krankenstation «Sune-Egge». Zu seinen Patienten gehörten jetzt Drogenabhängige und Aidskranke. Jo Munz arbeitete für das Sozialamt der Stadt Zürich auf dem Platzspitz. Bereut haben sie ihren Wechsel nie. Für das Ehepaar Munz war die Basisarbeit mit den Drogenkranken «die Fortsetzung von Lambarene in der Schweiz». Hatte nicht Albert Schweitzer gesagt: «Es gibt nicht nur ein Lambarene. Jeder kann sein Lambarene haben.»?
Tilmann Zuber
Jo und Walter Munz.
Lambarene ist überall