«Leider ist es ein Tabuthema»
«Es war hart, Monat für Monat zu hoffen und zu bangen, und wieder und wieder enttäuscht zu werden», erinnert sich Stefan Hochstrasser. Hinzu kam, dass seine Frau Angela mehrere frühzeitige Fehlgeburten erlitt. Auch über einen positiven Schwangerschaftstest konnten sich die beiden deshalb irgendwann nicht mehr freuen. Gleichzeitig bekamen viele Paare in ihrem Umfeld Kinder. «Dass wir in dieser Zeit lange in Guatemala waren, um kirchliche Mitarbeitende auszubilden, half uns. Wir fanden Erfüllung in dieser Aufgabe und in unserer Beziehung. So schafften wir es, dass der Kinderwunsch nicht unser ganzes Leben bestimmt.»
Hemmschwelle ist hoch
Ungefähr jedes zehnte Paar in der Schweiz, das sich Kinder wünscht, bekommt keine. Dennoch sei die ungewollte Kinderlosigkeit ein Tabuthema, sagt Stefan Hochstrasser. Gerade im kirchlichen Umfeld gebe es zahlreiche Angebote für Familien, aber nur sehr wenige für kinderlose Paare und für Singles. «Ich denke da an explizite Seelsorge-Angebote für Betroffene oder an Anlässe für Kinderlose, an denen man sich untereinander austauschen kann.»
Aus eigener Erfahrung und Gesprächen mit Betroffenen wüssten sie aber, wie hoch die Hemmschwelle für viele Paare sei, solche Angebote anzunehmen. Angela Hochstrasser ergänzt: «Schliesslich hofft man ja immer auf eine baldige Schwangerschaft und möchte dem Thema Kinderlosigkeit eher aus dem Weg gehen.»
Bibel thematisiert Kinderwunsch
Dass Angela und Stefan Hochstrasser heute doch eine Familie mit zwei Kindern haben, verdanken sie ebenfalls ihrer Zeit in Guatemala: Vor Ort hätten sie herausgefunden, dass es ein seriöses Adoptionssystem gebe. «So war für uns schnell klar, dass wir uns nicht mit den verschiedenen Möglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin beschäftigen wollen.» Seit 2020 leben Hochstrassers mit den beiden Mädchen wieder in Kreuzlingen, wo sich alle gut eingelebt haben.
Um kinderlosen Paaren konkret zu helfen, haben Hochstrassers zusammen mit einem anderen Paar vor kurzem die Ostschweizer Gruppe des Vereins GLOW («Glauben leben ohne Wunschkind») gegründet. Der Verein habe sich auf die Fahne geschrieben, dem Thema «unerfüllter Kinderwunsch» im christlichen Kontext Raum zu geben, erklärt Angela Hochstrasser. «Der christliche Glaube kann eine wichtige Ressource im Umgang mit einem unerfüllten Kinderwunsch sein.» Das Thema habe nämlich durchaus einen biblischen Bezug, wenn man zum Beispiel an die Geschichte von Sara denke, die sehr lange kinderlos blieb. «Gerade in der deutschsprachigen christlichen Literatur fehlt aber eine theologische Auseinandersetzung mit dem Thema. Wir hoffen, da etwas Abhilfe zu schaffen.»
Nicht aufhören zu träumen
Die GLOW-Regionalgruppen treffen sich regelmässig. Zudem finden Wochenenden statt, an denen Referierende über ihre Erfahrungen sprechen und sich Betroffene austauschen können. Und was rät Stefan Hochstrasser Paaren, deren Kinderwunsch sich nicht zu erfüllen scheint? «Neben dem Vernetzen sollte man schlicht nicht aufhören zu träumen: Es gibt viele schöne und sinnvolle Alternativen im Leben, wie unser persönliches Beispiel zeigt.»
Mehr Infos zu GLOW und zu den einzelnen Regionalgruppen finden sich auf www.glow.swiss.
(Cyrill Rüegger)
«Leider ist es ein Tabuthema»