Mein Jahresrückblick
Jahresrückblicke vor dem Jahresende sind heikel. In den Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr geschehen manchmal unvorhersehbare Ereignisse. Am 25. Dezember 1979 marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein. Am 26. Dezember 1999 verwüstete Orkan Lothar ganze Landstriche. Am 26. Dezember 2004 riss ein Tsunami Hunderttausende Menschen in den Tod.
Und das sind «nur» einige Katastrophen mit Langzeitfolgen, die unendliches Leid über viele gebracht haben. Daneben gibt es im eigenen Leben und Umfeld traurige und fröhliche Ereignisse, die alles auf den Kopf stellen. Die Welt bleibt nicht stehen. Unsere Zweitälteste wurde am 27. Dezember geboren. Gut, das war nicht gänzlich unvorhersehbar, sie war sogar zwei Wochen später als erwartet …
Die Monate dieses Jahres waren voll mit ausserordentlichen Ereignissen. Da rede ich nicht von den Weltereignissen, die viele Menschen zu Recht beunruhigen. Immer öfter erlebe ich, wie die täglichen schlechten Nachrichten ein Gefühl ständiger Bedrohung und sogar Angststarre auslösen können. Ich versuche, mich – ohne die Augen vor der Wirklichkeit zu verschliessen – auf die Dinge zu konzentrieren, die ich mitgestalten oder beeinflussen kann, in meinem Leben, an mir selbst, in meiner nächsten Umgebung. Da gab und gibt es Trauriges, aber auch sehr viel Grund zur Freude und Hoffnungsvolles.
Mein langjähriger Kollege in der Johanneskirche, Pfarrer Thomas Müry, verunfallte tödlich auf einer Wanderung. Eine schlimme und sehr traurige Erfahrung für seine Familie und den grossen Freundeskreis. Weil ich immer wieder aus meiner Komfortzone herausgehen will, nahm ich die Einladung eines ehemaligen Konfirmanden an, ihn an ein Seminar in Südfrankreich zu begleiten, das von Zen-Buddhisten durchgeführt wurde. Ich erlebte, wie ich als Christ selbst der Exot war, mit dem viele sprechen wollten über meinen Glauben.
Das Überraschendste ist, wie viele junge Erwachsene das Gespräch mit mir suchen. Sie erzählen von einer Krise im Beruf. Andere wollen meinen Rat, wenn eine Beziehung erkaltet ist. Mütter vertrauen mir an, dass ihre Kinder sie an den Rand und darüber hinaus bringen. Ich bin kein guter Ratgeber. Viel wichtiger ist es, gehört und gesehen zu werden.
Es entstehen neue Bekanntschaften, die sich vertiefen. Diese für mich so wertvollen Begegnungen halten mich wach und machen mich gespannt auf das Kommende. Und das ist erst mein vorläufiger Jahresrückblick … Von meinen drei Enkelkindern habe ich noch gar nicht erzählt …
Martin Dürr, inzwischen pensionierter Pfarrer, leitete zuletzt das Pfarramt für Industrie und Wirtschaft in Basel-Stadt und Baselland. Neben seinem «Enkeldienstag» engagiert er sich unter anderem für die Wibrandis-Stiftung im Gemeindehaus Oekolampad.
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