Mit Fluchtschiff als Kunstwerk durch den Advent
Wer eintritt in die Heiliggeistkirche in Bern, sieht es unvermittelt über dem Kopf: Das bunte Schiff mit den bunten Figuren des Künstlers Heinz Lauener. Ein Art Brut-Werk («rohe Kunst») aus Holz, Karton und anderem Sperrgut, rund drei Meter lang, anderthalb Meter breit. Am Freitagabend vor dem ersten Advent wurde es in einer Prozession durch die Strassen der Stadt getragen, vom Produktionsort in der Galerie «Outside Rohling» im Kirchenfeld bis zur Kirche neben dem Bahnhof – begleitet von Gesängen einiger Männer des eritreischen Chors Bern und von Samichläusen des gleichzeitig stattfindenden «Santaruns».
«Es spricht viele Leute an», sagt Andreas Nufer, Pfarrer in der Offenen Kirche Heiliggeist. Durch die Präsenz beim Eingang, die Buntheit, die einfachen und klaren Formen springe es ins Auge und rege an zum Nachdenken, zu Reaktionen. Die Kirche sei durch das Werk um ein starkes Symbol reicher, findet er.
Starkes Symbol für den Advent
Genau Letzteres sei vor allem der Grund, warum der Pfarrer auf Anfrage des Projekt-Kurators Filipp Haag sofort zugesagt hat. «Das Schiff symbolisiert ausgezeichnet unsere Zeit und auch den Advent. Es steht für die Ankunft von Gott auf der Welt, das Ankommen im Hafen, für die Gefahren der Gewässer, über die es trägt, die Wege der Flüchtenden.» Und das alte Lied «Es kommt ein Schiff geladen» sei eines der am häufigsten gesungenen in Deutschland, habe er eben erst im Internet gelesen, sagt Nufer schmunzelnd.
Und wie bei einer Flucht war die Reise des Schiffes ein Aufbruch ins Ungewisse. Zu Beginn des Projekts war noch nicht klar, was später daraus werden sollte, sagt der Berner Künstler und Kurator des Projekts, Filipp Haag. «Ich konnte eine Ausstellung gestalten in der Galerie Outside Rohling. Dazu lud ich den New Yorker Künstler Alex Barry ein und Heinz Lauener vom Atelier Rohling.» Lauener habe während des Monats der Ausstellung von Ende Oktober bis Ende November das Schiff gebaut. Erst kurz vor der Finissage sei dann klar geworden, wohin die Reise weitergehen würde.
Mit ökumenischer Verbindung
Die Aktion gehört auch zum Projekt «Perspektivenwechsel» der katholischen Kirche Bern und des Ateliers Rohling. Dieses ermöglicht Kunstresidenzen an ungewöhnlichen Orten. Das Boot von Lauener stelle eine schützende Arche dar, ein Transportmittel in eine vermeintlich bessere Welt, thematisiere aber gleichzeitig zugleich die Gefahr und Problematik einer solchen Überfahrt und werfe die Frage auf, wie wir mit der Verantwortung als Verursacher globaler Probleme umgehen, schreibt das Atelier Rohling.
Für Filipp Haag war die Prozession bemerkenswert. Sie führte unter anderem neben dem Samichlaus-Lauf «Santarun» und der «Partyzone» beim Waisenhausplatz vorbei. «Aber niemand äusserte sich, dass die Aktion störe. Viel mehr zeigten sich viele beeindruckt von der starken Präsenz des Schiffs und der Figuren», sagt Haag.
Am 23. Dezember muss das Werk die Heiliggeistkirche verlassen. Was folgt, ist auch wieder ungewiss. Der Kurator kennt die weiteren Häfen nicht. Aber: «Wir hoffen einfach, dass es weitergeht.»
Marius Schären, reformiert.info, 6. Dezember 2019
Mit Fluchtschiff als Kunstwerk durch den Advent