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Schaffhausen

Munotwächterin: «Mit dieser Tätigkeit geht Ruhm und Ehre einher»

von Carmen Schirm-Gasser
min
28.09.2023
Munotwächterin Karola Lüthi erzählt, was passierte, als sie die Munotglocke einmal nicht läutete. Wie sie mit schwierigen Gästen umgeht und welche Bedeutung ihre Tätigkeit für sie und Schaffhausen hat.

Welche Bedeutung hat die Munotwächterin für Schaffhausen?

Die Munotwächterin ist für Schaffhausen noch recht bedeutsam. Es gehört zu dieser Stadt, dass ich als Wächterin die Festung lebendig mache und die Glocke läute.

Was gefällt Ihnen am meisten an Ihrer Tätigkeit?

Mit dieser Tätigkeit geht Ruhm und Ehre einher. Im Sommer kommen viele Tausende Gäste in dieses wunderschöne und elegante Gebäude. Der Munot ist prunkvoll, aber nicht protzig. Er ist Ausdruck der Stärke der Stadt, die sie im 16. Jahrhundert hatte. Damals hatte die Stadt aufgrund ihrer Lage am Fluss eine grosse Bedeutung. Hier oben hat nie ein Adelsgeschlecht gewohnt, immer nur die Wächter mit ihren Familien. Die Soldaten kamen zur Verteidigung aus der Stadt nach oben.

Man stellt sich den Alltag einer Munotwächterin mit viel Burg­frauenromantik vor. Ist er das?

Der Alltag ist weniger glamourös als man denkt. Ich habe viel Haus­arbeit zu erledigen, WCs müssen geputzt werden, der Abfall weggeräumt und die Hirsche gefüttert werden. Im Sommer gibt es viele Grossveranstaltungen, bei denen man im Hintergrund mitwirkt, und nicht zu vergessen: jeden Abend von Hand die Glocke zu läuten. Der andere Teil meines Jobs besteht aus den Touristenführungen, die ich mache.

Ist die Arbeit anders, als Sie gedacht haben?

Es ist nicht zu unterschätzen, dass man jeden Tag hier sein muss und jeden Abend um 21 Uhr die Glocke läuten muss. Es ist eine Ehre, ich mache das sehr gerne, es ist das Lustigste an der ganzen Arbeit. Aber man ist recht angebunden. Das zerschneidet jeden Abend, vor allem wenn man auswärts eingeladen ist.

Wer läutet die Glocke, wenn Sie in den Urlaub gehen?

Wenn ich in den Urlaub gehe, muss ich eine Freundin oder meinen Vorgänger bitten, mich zu vertreten.

Haben Sie noch Freundinnen, wenn Sie diese so oft um einen Gefallen bitten müssen?

Es ist kein Problem, jemanden zu finden, der die Glocke läutet. Für die meisten ist es eine Ehre, etwas ganz Besonderes. Aber die Arbeit umfasst ja noch viel mehr, vor allem das Putzen.

Die meisten gratulierten mir, andere wollten mich dafür in den Kerker werfen.

Haben Sie die Glocke in den vergangenen sieben Jahren einmal nicht geläutet?

Am Frauenstreiktag habe ich die Glocke aus Solidarität nicht geläutet.

Gab es Reaktionen darauf?

Ich bekam Hunderte Reaktionen, vor allem via E-Mail. Die meisten gratulierten mir, andere wollten mich dafür in den Kerker werfen. Es gab auch einige anonyme Briefe.

Welche historische Bedeutung hat das Läuten dieser Glocke?

Früher sind die Stadttore nach dem Läuten der Glocke geschlossen worden. Es war ein Hinweis für die Menschen, in die Stadt zurückzukehren. Früher fürchtete man sich vor Geistern und war lieber hinter schützenden Mauern.

Sie wohnen gemeinsam mit Ihrem Mann im Turm der Festung. Wie komfortabel ist das?

Dass ich hier wohnen darf, ist ein Privileg für mich, etwas ganz Besonderes. Die Wohnung hat etwa 70 Quadratmeter, mit einer spektakulären Aussicht in alle Himmelsrichtungen. Früher war es zugig, das Wasser musste man vom Brunnen holen, man kochte mit Holz. Heute ist die Wohnung isoliert, modern, hat Strom und Wlan. Man muss allerdings auch viel laufen, 60 Treppen jeweils. Und man trägt jeden Einkauf die Treppen hoch, nachdem man zuerst den Munot hochgelaufen ist.

Haben Sie Ihren Mann überreden müssen, hierherzuziehen?

Er hat eine abenteuerliche Seele, so wie ich.

Was, wenn Sie krank werden?

Ich bin seit meinem Amtsantritt 2017 nicht wirklich fest krank geworden. Wenn doch einmal, muss mein Mann die Arbeit erledigen. Kürzlich hat er sich den Fuss gebrochen. Das ist einer der dümmsten Orte, um sich den Fuss zu brechen.

Wie viele Führungen machen Sie am Tag?

Das ist sehr unterschiedlich. Im Sommer habe ich sehr viel zu tun. Dann kommen viele Touristen, Schulklassen und es gibt Betriebsausflüge. Abends finden zahlreiche Grossveranstaltungen oder Veranstaltungen vom Munot-Verein statt. Manchmal habe ich vier Führungen an einem Tag und einen Ball am Abend. Im Winter ist es dafür viel ruhiger.

Wie hoch ist Ihr Pensum?

Ich bin von der Stadt Schaffhausen in einem 45-Prozent-Pensum angestellt. Mein Mann hat nochmal 20 Prozent für das Betreuen der Hirsche. Aber die Arbeit muss ja an sieben Tagen die Woche gemacht werden. Ich habe nie frei.

Ich gehe mit Menschen so um, wie ich selbst behandelt werden möchte.

Mit welchem Erlebnis hatten Sie die vergangenen sechs Jahre nicht gerechnet?

Vor zwei Jahren ist eine Frau beim Selfiemachen über das Geländer geklettert und über zwanzig Meter runtergefallen. Sie hatte mehr Glück als Verstand. Sie hat nur überlebt, da sie auf einer Birke gelandet ist, die sie aufgefangen hat.

Wie gehen Sie mit schwierigen Besuchern um?

Ich gehe mit Menschen so um, wie ich selbst behandelt werden möchte.

Das ist eine zutiefst christliche ­Aussage. Gehören Sie einer Konfession an?

Ich bin katholisch aufgewachsen, aber schon lange ausgetreten. Mir gefallen bei den Katholiken die Männerdominanz und der Umgang mit Frauen nicht. Ich habe mir schon ein paarmal überlegt, in die reformierte Kirche einzutreten. Ich besuche einen Meditationskreis der Evangelischen Kirche Schaffhausen. Solche Angebote sind toll.

Wie viele Jahre haben Sie geplant, noch Munotwächterin zu bleiben?

Sicher bis zur Pensionierung. Wenn ich das Amt abgebe, muss ich aus der Festung wieder wegziehen.

Wie behagt Ihnen dieser Gedanke?

Das kann ich noch nicht sagen. Vielleicht beschäftigt es mich dann, dass ich diese Arbeit nicht mache.

 

Die Munotwächterin

Das Wahrzeichen von Schaff­hausen, der Munot, wurde ­zwischen 1564 und 1589 erbaut. Karola Lüthi setzt eine lange Tradition von Wächtern fort. Sie ist die erste Frau, die 2017 in dieses Amt gewählt wurde. Zu den Aufgaben der Munotwächterin gehören ­Touristenführungen, die Fütterung der Damhirschkolonie und jeden Abend um 21 Uhr das Läuten der Glocke. Karola Lüthi, ursprünglich aus dem Thurgau, wohnt seit rund 40 Jahren in Schaffhausen. Zuvor war sie über 30 Jahre lang Köchin bei der Gassenküche.

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