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Muslim für 75 Minuten – ein Selbsttest

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11.03.2016
Niederschwellig, praxisorientiert, angstfrei – der Crashkurs «Islam für Christen» hält, was er verspricht: Alle zehn Teilnehmer durften ihr Zertifikat mit nach Hause nehmen: Test bestanden, die Basics des Islams sitzen. Ein Erfahrungsbericht über eine etwas andere Islam-Einführung am Mittwoch in der Zürcher Helferei.

«Wer von euch ist Muslim?» – «Wer von euch wurde getauft?» – «Wer glaubt an Gott?» – «Wer von euch bezeichnet sich als queer?» Keine Frage – beim «Crashkurs Islam für Christen» gings zur Sache. Schon der steile Einstieg machte klar, dass wir hier mehr als eine Trockenübung machen würden. Wir, das waren null Muslime, acht Getaufte, zwei davon Gläubige, und drei Menschen, die sich als «queer» bezeichnen würden. Wir hatten den Einstufungstest hinter uns und waren bereit, uns von den beiden Theaterschaffenden Antje Schupp und Beatrice Fleischlin in 75 Minuten in punkto Islam auf Vordermann zu bringen. Ihr Gastspiel verwandelte das Kulturhaus Helferei im Handumdrehen in eine Koranschule – wenn auch eine etwas spezielle.

«Wenn es in den Wädli spannt, habt ihr den richtigen Winkel»
«Praxis ist besser als Theorie», machten uns die beiden Islaminstruktorinnen gleich zu Beginn klar. Um 15.45 Uhr, pünktlich zum Nachmittagsgebet, folgten wir also dem Muezzinruf in die Zwinglikapelle, in unsere behelfsmässige Moschee auf Zeit – ein Baldachin aus Plastikplachen – und legten los. Und das will heissen: Waschritual vollziehen, Beten üben, Kopftuch tragen, Glaubensbekenntnis nachsprechen. An einem improvisierten Brunnen wuschen wir uns Hände, Gesicht («die Nasenlöcher spülen nicht vergessen») und Füsse, auf kleinen bunten Teppichen übten wir unter Anleitung der Instruktorinnen den genau vorgegebenen Ablauf des rituellen Gebets: Aufrechtstehen, bücken («wenn es in den Wädli spannt, habt ihr den richtigen Winkel»), aufrichten, niederwerfen («passt auf, dass ihr niemanden hinter euch kickt»), aufrecht knien und so weiter. Uff, gar nicht ohne, all die Bewegungen zu koordinieren!

Selbsterfahrung mit dem Islam
«Wir erschlossen uns den Islam bottom up. Und das geben wir so weiter», erklärt Antje Schupp das Konzept des Gastspiels, sich ganz unbefangen dem Islam anzunähern. Der Crashkurs Islam sei auch ihr persönlicher Versuch, das komplexe Phänomen des Islam besser zu begreifen, meint die Regisseurin und Performerin. Die Idee zum Theaterprojekt sei ihr gekommen, als sie von einer Umfrage über den Islam erfuhr, in der 60 Prozent der Befragten angaben, sich vor dem Islam zu fürchten.

«Ich merkte, ich weiss selber so wenig über den Islam und die Muslime.» Und so besuchten Schupp und Fleischlin Freitagsgebete, sprachen mit Muslimen, reisten in die arabische Welt, und nahmen bei der gebürtigen Ägypterin Riham Galal Koranunterricht. Ihre Selbsterfahrungen haben sie im Stück verarbeitet. Letzten Oktober fanden erste Crashkurse in der Markthalle Basel statt, demnächst kann er im Schauspielhaus Wien besucht werden.

Eine epileptische Fledermaus
Die Mischung zwischen Fiktion und realer Handlung, zwischen Ernst und Ironie funktioniert – mal im Schleier, mal im Bikini führen Fleischlin und Schupp uns unsere Bilder des Islams und des Westens vor Augen, und bringen so einige Stereotype ins Wanken. In verschiedenen szenischen Einschüben spielen die beiden Frauen auch ihre Begegnungen mit Muslimen nach, in denen sie ihre ganz persönlichen Lebensentwürfe nicht aussparen. Ebenso komisch wie authentisch kommt so etwa die Unterhaltung zwischen Schupp und einem von Fleischlin verkörperten Salafisten über die Scharia und Homosexualität rüber. Der Salafist sah gleichgeschlechtliche Liebe von der Scharia her als «Schwäche», worauf Schupps ihm entgegnete, dass man ihre Liebe zu Frauen durchaus als Schwäche bezeichnen könne, denn ja, sie habe eine Schwäche für Frauen.

Ein weiteres Highlight war dann der Ausflug von uns Frauen – unsere Gruppe wurde zwischenzeitlich nach Geschlechtern getrennt –, ein Selbsterfahrungstrip mit Kopftuch durchs Niederdorf. Zur Befremdung der leider etwas spärlich anwesenden Passanten präsentierte Fleischlin ihren selbst erfundenen «Papillontanz», der doch eher dem Sturzflug einer epileptischen Fledermaus glich. Was lachten wir unter dem Schleier. Wie aber reagieren Muslime auf die Aktion? «Sehr gut. Wir haben eigentlich nur positive Reaktionen bekommen. Niemand fühlte sich provoziert. Im Gegenteil, wir erhielten viel Hilfe», meint Schupp.

Beten ist nichts für Kniepatienten
Gegen Ende besuchte uns die Koranlehrerin Riham Galal und erzählte aus erster Hand, was es für sie bedeutet, Muslima zu sein. In der Unterwerfung unter Allah fände sie die Freiheit, sich von den Zwängen des Lebens zu lösen. Und nein, das Kopftuch sei ihre Entscheidung, kein Zwang. Diese hätte sie im Übrigen gegen den Willen ihrer Eltern getroffen – und vor der Bekanntschaft mit ihrem heutigen Mann. Zum Schluss leitete Galal das gemeinsame Gebet. So konnten wir das eben erlernte Niederwerfen gleich noch einmal üben.

Die Instruktorinnen entliessen uns mit einem Zertifikat in der Hand, wir haben alle Level A 1 bestanden. Was haben wir gelernt? Erstens: Es gibt keinen Grund, Berührungsängste mit dem Islam zu haben, denn «Praxis ist besser als Theorie», und Lerneffekt zwei: «Es braucht schon ein bisschen Fitness, um Muslim zu sein», so das Fazit eines Besuchers. Oder, wie es Fleischlin beim Niederknien auf den Punkt brachte: «Beten ist nichts für Kniepatienten.»

Der Crashkurs hat den Eignungstest bestanden: Er ist für niederschwellig, praxisorientiert, und angstfrei befunden. Sehr zu empfehlen. Es ist zu hoffen, dass das Gastspiel bald wieder in der Schweiz sein wird.

 

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Susanne Leuenberger / ref.ch / 11. März 2016

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