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Streiflichter der Mystik in Dulliken

Mystik: Auf dem Weg der Suche

von Tilmann Zuber
min
31.05.2024
SOLOTHURN | Spiritualität und Mystik liegen im Trend. Doch was ist Mystik? Eine Kursreihe in der Reformierten Kirchgemeinde Dulliken geht dem Phänomen anhand einzelner Mystiker und deren Leben nach.

«Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein, oder er wird nicht sein», prophezeite der Theologe Karl Rahner 1966. Rahner sollte recht behalten. Während die Institution Kirche in Westeuropa Mitglieder verliert, hält das Interesse an Spiritualität und Glaube in der Bevölkerung nach wie vor an. Deshalb geht in Dulliken ein Kurs den Mystikern in den verschiedenen Religionen nach. Rund 10 bis 15 Teilnehmende besuchen jeweils den Anlass. Die Reihe ist schon im Januar gestartet. Der Einstieg sei jedoch jederzeit möglich, erklärt Pfarrer Sascha Thiel. Zusammen mit Lena Bueche veranstaltet er die Abende.

Das Besondere an der Kursreihe in Dulliken ist, dass sich der Inhalt nicht auf das Christentum beschränkt. Es gibt da eine Einführung zum Sufismus, in die Mystik aus Indien, Pakistan und ins mystische Denken des Christentums und des Islams. Gestartet sei man mit dem alttestamentlichen Hohelied Salomos, erzählt Thiel.

Ein Abend widmet sich dem Propheten Mohammed, den man eher als Erlasser von Geboten und Verboten kennt. «Ja, Mohammed war auch Mystiker», meint der Pfarrer, «er machte Erfahrungen mit dem Göttlichen und verband diese mit seinen Leben.»

In jedem ruht ein Teil einer Gottheit

Doch was steckt hinter dem Begriff Mystik, der heute inflationär von der Esoterik bis zur Werbebranche verwendet wird? Sascha Thiel bezieht sich bei seiner Definition auf einen Vortrag von Martin Buber aus dem Jahr 1914. Dort unterscheidet der Philosoph zwischen Religion und Religiosität: Religion sei etwas Statisches, baue auf ein festes Fundament und versuche zu bewahren. Während Mystik dynamisch sei und den Weg des Suchens beschreibe. Mystiker glauben, sie hätten den Kern ihres Glaubens noch nicht gefunden, sie sind auf der Suche, deshalb ist ihre Spiritualität nicht abgeschlossen. «Viele mystische Traditionen gehen davon aus, dass ein Teil einer Gottheit in jedem ruht. Diesen Kern wollen die Mystiker entdecken.»

Der Kurs richtet sich ganz nach den Bedürfnissen der Teilnehmenden, die ihre Vorschläge einbringen. Neben der Wissensvermittlung steht das eigene Erleben im Vordergrund. In Kleingruppen kann man über seine Erfahrungen berichten.

«Wenn die Perspektive eng ist, weitet sich der Blick»

Verändert die Beschäftigung mit der Mystik die Sicht auf die Welt? «Ja», meint Thiel, «je nachdem, welche Grundhaltung man hatte. Wenn die Perspektive eng ist, weitet sich der Blick, man stellt fest, dass die Analogien zu anderen Religionen und Philosophien beträchtlich sind.»

Beeindruckend findet Sascha Thiel, dass in bestimmten Epochen der Welt die gleichen Ideen auftauchen. Zum Beispiel in der Antike, als in den östlichen Religionen die gleichen Vorstellungen auftauchten wie im Abendland. Je länger man sich mit der Mystik beschäftige, so Thiel, desto mehr erkenne man, dass alle Religionen das gleiche Ziel verfolgten und den gleichen Kern hätten. «Wir sind nicht allein, in vielen Religionen hat sich ein geistesgeschichtlicher Wandel vollzogen.»

Sascha Thiel fühlt sich mit der Haltung der Mystiker persönlich verbunden. Er beschäftigt sich schon länger damit. «Mein Grundgefühl ist, dass mein Leben und mein Glaube dem Modus des Suchens entsprechen, von dem ja auch Jesus von Nazareth häufig sprach.» Und was sagt er Christinnen und Christen, die sagen, sie hätten Gott und den Glauben gefunden? Das sei gut für sie, meint Thiel, er könne dies stehen lassen. Er aber sei in seinem Leben nur wenigen erleuchteten Menschen, die es gefunden haben, begegnet. «Das ist wirklich sehr selten.»

 

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