Pfarramt unter freiem Himmel
Es ist kurz vor zwei Uhr nachmittags. Auf dem Berner Europaplatz ist nicht viel Betrieb. Männer in kurzen Hosen und Frauen in Röcken flanieren unter den riesigen grauen Brückenpfeilern über den Platz. Kunststudenten mit Block und Stift sind über den ganzen Platz verteilt.
Mitten drin steht ein grauer Klapptisch mit zwei grünen Stühlen. Am Tisch klebt ein von Hand geschriebenes Blatt: «Pfarrer im Dienst». Auf dem Stuhl sitzt Christian Walti in T-Shirt, kurzen Hosen und Teva-Sandalen.
Büro auf dem Europaplatz
Jeden Nachmittag ab ein Uhr arbeitet der Pfarrer der Kirchgemeinde Frieden in der zweitletzten Juliwoche auf dem Europaplatz statt im Büro. Er steht für Gespräche zur Verfügung, hält vereinbarte Sitzungen hier ab oder wartet einfach, was passiert. «Dieses Jahr verhalte ich mich passiv. Lasse die Menschen zu mir treten», sagt Christian Walti.
Die ganze Woche sei nicht viel los gewesen. «Vielleicht zehn Personen haben mich angesprochen. Wollten wissen, was ich hier mache», sagt Walti. «Mit einer Gruppe älterer Herren mit Migrationshintergrund, die sich hier auf ein Feierabendbier trifft, kam ich ins Gespräch. Sie erzählten mir über ihre Erfahrungen mit der Kirche.» Zwei Polizisten in zivil seien an ihn herangetreten, waren neugierig. Walti nennt solche Kontakte «kurze Glüüsslikontakte» – Kontakte, die nicht länger als einen kurzen Augenblick dauern.
Schwieriges Thema
Während Walti das sagt, schiebt ein Mann einen Kinderwagen nah am Tisch vorbei. Der Blick des Passanten verweilt lange auf dem Blatt mit der Aufschrift «Pfarrer im Dienst». Kurz bevor der Passant am Tisch vorbei ist, schaut er den Pfarrer an.
Missgunst erlebe er wenig, sagt Walti. Aber an den Blicken erkenne er oft, dass die Leute Distanz wahren wollten. «Über religiöse Themen zu sprechen, ist für viele schwierig. Und an einem anonymen Ort wie hier auf dem Europaplatz fällt das noch schwerer.»
Jeder will etwas
Walti versteht, dass sich die Passanten zurückhalten. «Ich würde selber wohl auch nicht Halt machen», sagt der Pfarrer im Dienst. In der Stadt werde einem immer etwas aufgezwungen, egal ob ein Bettler nach Geld frage, oder die Geschäfte, die einem mit ihren Produkten in den Laden locken wollten.
Auch wenn sich dieses Jahr nicht viele Kontakte ergeben haben, hält Walti an der Wichtigkeit solcher Aktionen fest; viele Kirchgemeinden hätten öffentliche Auftritte zu stark vernachlässigt. «Meine Vorgänger waren gegen solche Aktionen. Für sie war Kirche selbstverständlich einfach da», sagt Walti. Diese Haltung hat in seinen Augen dazu geführt, dass heute viele Menschen nicht mehr wüssten, was Kirchen machen. Der Kontakt sei verloren gegangen.
Mehr Begegnungsmöglichkeiten
Das war auch der Grund, weshalb die Kirchgemeinde Frieden vor drei Jahren das Pfarramt zum ersten Mal auf die Gasse verlegt hatte. «Wir waren 2015 ein neues Pfarrteam und kannten kaum die Kirchgemeindemitglieder. Deshalb wollten wir eine neue Begegnungsmöglichkeit schaffen und die Leute auf die Kirche und ihre Aktivitäten aufmerksam machen.»
Das habe auch geklappt. Walti hatte hier auf dem Europaplatz zwei Personen kennen gelernt, die heute aktiv in der Kirchgemeinde Frieden mitmachen. «Damals bin ich aktiv auf die Passanten zugegangen. Versuchte sie ins Gespräch zu verwickeln«, erinnert sich Walti. Im ersten Jahr kam er auch noch mit Computer den ganzen Tag auf den Europaplatz. Arbeitete ganz normal – bereitete den Sonntagsgottesdienst und eine Abdankung vor.
Nächstes Jahr was Neues
«Doch ohne Internet zu arbeiten, war schwierig. Deshalb haben wir im zweiten Jahr uns dazu entschlossen, nur noch nachmittags herzukommen.» Während Walti auf dem Europaplatz stationiert ist, sitzt eine Kollegin auf dem Cäcilienplatz. Auch ein Pfarrer der Kirchgemeinde Bümpliz macht bei der Aktion mit.
Walti findet es wichtig, Begegnungsorte auch ausserhalb der Kirche und dem Kirchgemeindehaus zu schaffen. Am Gründonnerstag bot er Menschen auf dem Europaplatz an, ihnen die Füsse zu waschen. «Ich war mir bewusst, dass das eine sehr intime Angelegenheit ist», erklärt Walti die Reaktion der Passanten, die sich nicht darauf eingelassen haben. Und für die Aktion «Pfarramt auf der Gasse» will Walti nächstes Jahr etwas Neues überlegen. «Einen draufsetzen», wie er sagt. «Vielleicht ein thematisches Angebot.»
Nicola Mohler / reformiert.info / 26. Juni 2017
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
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