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Offener Austausch der Religionen

Pfarrer, Imam und Rabbiner treffen sich (kein Witz)

von Stefan Degen
min
21.08.2024
Juden, Christen und Muslime lesen gemeinsam in ihren heiligen Schriften und erzählen einander von ihrem Glauben. Seit fünf Jahren trifft sich die Gruppe regelmässig. Zum ersten Mal taten sie dies nun in Rapperswil vor Publikum. Die Veranstaltung stiess auf grosses Interesse.

Ein Jude, eine Jüdin, zwei Christen und zwei Muslime haben im Kunstzeughaus Rapperswil zusammengefunden. Nicht als Repräsentanten ihrer Religionsgemeinschaften, wie Moderatorin Christiane Schubert betont, sondern um sich als «privat Glaubende» auszutauschen: «Uns interessiert: ‹Wie stellst du dir Gott vor? Worauf beruht dein Gottesbild? Hilft dir dein Glaube in der Krise? Was machst du mit den einander widersprechenden Aussagen in deiner Heiligen Schrift?›»

Dazu seien sie bereit, einander offen und ehrlich Auskunft zu geben. Nachdem sie diesen Austausch schon seit fünf Jahren in geschlossenem Rahmen praktizierten, sei nun genug Vertrauen gewachsen, um die Öffentlichkeit einzuladen. Und die Öffentlichkeit ist gekommen: Jeder der knapp hundert Stühle im Saal ist besetzt.

Töten ist schlecht, stehlen ist schlecht, auch eine miese Laune zu verbreiten, ist schlecht.

Die Grundlagen des Zusammenlebens

«Warum soll man eigentlich ein Gebot einhalten?», fragt der Rapperswiler Pfarrer Heinz Fäh. «Um Gott zufrieden zu stellen?» Gebote seien Anleitungen für das Leben, antwortet Michaella Barasch von der Jüdischen Gemeinde St. Gallen. Es gehe um die Grundlage des Zusammenlebens. «Töten ist schlecht, stehlen ist schlecht, auch eine miese Laune zu verbreiten, ist schlecht.» Das seien universale Werte.

«Wenn ich meine jüdischen Brüder und Schwestern unterstützen darf», schaltet sich da der Wiler Imam Bekim Alimi ein, im Islam stelle sich diese Frage auch: «Bist du ein guter Mensch und gehst du deswegen nach Mekka? Oder gehst du nach Mekka, um ein guter Mensch zu werden?» Über die Bedeutung religiöser Gebote gehen die Ansichten an diesem Abend bisweilen auseinander.

Das Leben ist ein Geschenk, das ich mir nicht selbst geben kann.

Was bedeutet Frucht?

«Welche Antworten auf das Leben gibt uns unser Glaube?» Nach dem Text aus der Thora widmet sich die Runde einem Vers aus dem Johannesevangelium. Es geht um Erwählung, dass man dazu bestimmt sei, «Frucht zu bringen». «Wir leben in einer Wahlgesellschaft», erläutert Fäh, «und glauben, wir könnten unser Leben konstruieren.» Doch das sei eine Illusion: «Das Leben ist ein Geschenk, das ich mir nicht selbst geben kann.» Dem St. Galler Imam Mehas Alija fällt auf, dass die Frucht schon in der Paradieserzählung von Adam und Eva eine wichtige Rolle gespielt hat.

Derweil fragt der St. Galler Rabbiner Shlomo Tichonski grundsätzlich: «Was bedeutet ‹Frucht›? Wofür steht diese Metapher?» Der reformierte Theologe Pascall Bazell verweist auf den Galaterbrief: «Dort werden Früchte des Geistes aufgezählt, Treue und Sanftmut zum Beispiel.»

 

 

Manche Fragen irritieren

So geht das Gespräch hin und her, manchmal ziemlich sprunghaft. Und nicht ganz ohne Irritationen: «Eine solche Frage hätte ich aus dem Publikum erwartet und nicht vom Podium», entgegnet Alimi einmal spitz. Doch offensichtlich kennt man sich gut genug, um diese Irritationen einordnen zu können.

Nicht immer lassen sich Parallelen zwischen den Religionen ziehen. Das wird bei einer Frage aus dem Publikum deutlich: Wie man denn ins Himmelreich komme, will eine Frau wissen. Das «Himmelreich» sei ein christlicher Begriff, wendet Tichonski ein.

Pfarrer Fäh verweist derweil auf Jesus, der gesagt habe: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit all deiner Kraft und mit deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst.» Da seien sie immerhin nahe beieinander, lacht Tichonski. Schliesslich sei das ein Zitat aus der Thora.

 

Scriptural Reasoning

Der Dialog in Rapperswil fand nach der Methode Scriptural Reasoning statt. Sie hat ihre Wurzeln im innerjüdischen Austausch und ist mittlerweile auch im interreligiösen Dialog verbreitet. Die Vertreterinnen und Vertreter der beteiligten Religionen wählen aus ihrer heiligen Schrift einen Text zu einem bestimmten Thema aus, in Rapperswil zu der Frage: «Welche Antworten auf das Leben gibt uns unser Glaube?». Über diese Texte denken sie dann gemeinsam nach. Alle sind eingeladen, alle Texte zu erkunden, auch die «fremden».

Heilige Texte zum Downloaden

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