1983 melde te das Magazin «Stern», man habe Hitlers Tagebücher gefunden. In Deutschland gingen Hunderttausende gegen die Aufrüstung mit Raketen auf die Strasse. Und am Heiligabend hielt Michael Schoger seine Antrittspredigt in der reformierten Kirche Lostorf. Seither sind 38 Jahre vergangen, und Schoger hat noch immer dieses Pfarramt inne. Doch im April ist Schluss, dann geht der 66-Jährige in Pension.
Michael Schoger war und ist Pfarrer mit Leib und Seele. Er machte Hausbesuche, taufte, traute und beerdigte ganze Generationen. Er fuhr mit den Konfirmanden ins Lager und begleitete Menschen beim Sterben, und er predigte Sonntag für Sonntag und organisierte unzählige Anlässe. Es war gerade die Vielfalt, die Schoger gefiel. Es faszinierte ihn, dass er die Leute in den besonderen Momenten des Lebens begleiten und sie stärken und trösten durfte. «Langeweile kam nie auf», blickt er zurück.
Von Siebenbürgen nach Lostorf
Michael Schoger stammt zusammen mit seiner Ehefrau Ingrid ursprünglich aus Siebenbürgen in Rumänien. Er wuchs in einem christlichen Haus auf und studierte Theologie in Hermannstadt, heute Sibiu. 1983 kam er in die Schweiz. In der Reformierten Kirchgemeinde Schönenwerd war er zunächst Vikar und wurde dann Pfarrer im neu gegründeten Pfarrkreis Obergösgen-Lostorf. Er blieb der Gemeinde bis heute treu. 2001 wurde er Dekan des Pfarrkapitels der Reformierten Kirche Kanton Solothurn.
Schogers Predigten waren keine dogmatischen Abhandlungen, er suchte auf der Kanzel den Bezug zum Alltag und zu dessen ethischen Herausforderungen. «Ich wollte die Leute auf ihr Zusammenleben ansprechen», erklärt er. Michael Schogers praktische Maxime lautet in Anlehnung an Matthäus 7,12: Behandle andere so, wie du auch behandelt werden willst. Der Pfarrer wollte den Kirchenbesuchern aufzeigen, wie wichtig Rücksichtnahme ist. Und Schoger wollte mit den Leuten über den Tod und das ewige Leben nachdenken. Gerade heute haben viele Probleme, sich dieser Thematik zu stellen.
In den letzten vierzig Jahren hat sich im Niederamt viel verändert. Statt vier Pfarrämter gibt es nur noch zwei. Das Niederamt wurde zur Agglomeration, die Bewohner pendeln zur Arbeit nach Zürich, Basel und Aarau. Die Kirche habe nicht mehr die markante gesellschaftliche Stellung, stellt Schoger fest. «Die Leute leben heute individueller, das Engagement für die Kirchgemeinde oder für die Vereine nimmt ab.» So sei es schwieriger, Nachwuchs für die Kommissionen zu finden. Die Kirchenaustritte machen dem Pfarrer zu schaffen. In den 1980er- und 1990er- Jahren gab es Vereinzelte, die der Kirche den Rücken kehrten. Schoger suchte damals den Kontakt, um die Gründe zu erfahren. Heute sind es zu viele Austritte, der Pfarrer ruft die Leute nicht mehr an. «Meist ist der Austritt dem Zeitgeist und den Kirchensteuern geschuldet.»
Auf die Menschen zugehen
Wie sieht die Kirche in zwanzig Jahren aus? Michael Schoger zögert, überlegt und räumt dann ein, dass er es nicht wisse. Die Kirche werde es sicher noch geben, aber in anderen Formen. «Die Kirche wird auch in Zukunft Menschen ansprechen», ist sich Schoger gewiss. «Vielleicht ändert sich die Nähe der Kirche zum Staat, vielleicht konzentrieren sich die Kirchen stärker auf die Verkündigung und die Menschen.» Das ist eigentlich unser Proprium, auch wenn viele die Kirche oft auf Soziales und Hilfswerke reduzieren. Gerade hier sieht Michael Schoger den Staat in der Verantwortung. «Die Kirchen leisten so viel unentgeltlich für die Allgemeinheit. Wenn der Staat nicht das soziale Engagement der Kirche stärker unterstützt, wird dieses eines Tages wegfallen.»
Muss Kirche mehr missionieren, um Mitglieder zu gewinnen? Nein, meint Schoger, die Zeiten, als man aus Ungläubigen bessere Menschen machen wollte, seien vorüber. Aber wenn Mission bedeutet, als Christinnen und Christen zu zeigen, was man zum Glauben, zu Leben und Tod, zur Menschenwürde, Ökologie und Ökonomie zu sagen hat, dann ist sie berechtigt.
Im April tritt Michael Schoger in eine neue Lebensphase. Er habe keine Bedenken wegen Langeweile, eher das Gegenteil, erzählt der Pfarrer. Er sieht sich noch mitten im Leben mit seinen vier Enkeln, die er einmal pro Woche hütet. Darauf freut er sich, ebenso wie auf die neue Lebensqualität, die ihm Zeit lässt, vermehrt Ski und Velo zu fahren.
Tilmann Zuber
Pfarrer mit Leib und Seele