Podium: Die Rolle der Kirchen in Zeiten des Krieges
«Euer Schmerz ist mein Schmerz», schrieb Papst Franziskus in einem emotionalen Brief an die ukrainische Bevölkerung. Starke Worte. Doch sie kamen spät, erst Ende November, also rund neun Monate nach Beginn der russischen Invasion. Viel zu spät, findet der Journalist Stefan Kube.
Er beurteilt die Reaktionen der Kirchen auf den Krieg in der Ukraine generell als zu zögerlich und kritisiert sowohl die Ostpolitik des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) als auch die des Vatikans. Er nennt ein Beispiel: Nach einem virtuellen Treffen von Vertretern des Vatikans, des ukrainischen und des russisch-orthodoxen Patriarchats kurz nach Kriegsbeginn sei es den Russen gelungen, in einer raschen und ausführlichen Presserklärung das Treffen als erfolgreichen Dialog darzustellen. Die andere Seite habe lediglich ein «dürres» Kommuniqué veröffentlicht. «Wenn der Papst schweigt und sich erst zwei Monate nach dem Austausch klar vom russischen Patriarchen distanziert, ist die Wirkung nur noch sehr gering», meint Kube.
Stefan Kube ist Leiter des Instituts G2W und Chefredaktor der Zeitschrift «Religion und Gesellschaft in Ost und West». Er nimmt als einer der drei Gäste auf dem Podium teil, das die Evangelisch-reformierte Kirche Schweiz (EKS) im «Polit-Forum» in Bern organisiert hat. Daneben diskutieren auch Natallia Vasilevich, belarussische Politikwissenschaftlerin, Juristin und orthodoxe Theologin und der serbisch-orthodoxe Bischof Andrej Ćilerdžić die Frage zur Rolle der Kirchen im Ukrainekrieg.
Das Podium will die religiöse Dimension im Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ins Zentrum stellen, was sonst in der medialen Berichterstattung oft zu kurz komme. Dabei rechtfertigten Patriarch Kyrill, das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche und Präsident Putin die Invasion auch durch die Notwendigkeit, die gläubigen Orthodoxen in der Ukraine zu verteidigen.
Gerechter Krieg für einen gerechten Frieden
«Kyrills Rhetorik ist schlau», sagt Natallia Vasilewich, Politikwissenschaftlerin aus Belarus. Mit dem Konzept des «gerechten Friedens» unterstütze er Putins Krieg nicht direkt, sondern legitimiere ihn indirekt als Instrument des Friedens. «In der Logik des russischen Patriarchats handelt es sich um einen Befreiungskrieg, der nicht nur erlaubt ist, sondern gesegnet», bringt es Vasilewich auf den Punkt.
Der Krieg in der Ukraine verschärft nicht nur die innerorthodoxen Konflikte, sie stellt auch die ökumenische Bewegung auf die Probe. Andrej Ćilerdžić, der serbisch-othodoxe Bischof, betont die Wichtigkeit der ökumenischen Kraft in Zeiten des Krieges. Und er kennt den Druck, unter dem die orthodoxen Theologen weltweit stehen.
Trotzdem hätten er und viele andere Orthodoxe in den letzten Monaten Haltung gezeigt. «Unzählige orthodoxe Theologen haben klar Stellung bezogen gegen die pseudo-religiöse Rechtfertigung des mörderischen Überfalls auf die Ukraine», sagt er.
Doch die Kirche müsse vorsichtig sein, fährt Bischof Ćilerdžić fort, und dürfe keinesfalls etwas Falsches sagen, sonst laufe sie Gefahr, Teil des Konflikts zu werden. «Die Aufgabe der Kirche ist es, Raum für Frieden und Dialog zu schaffen.» So, wie es der serbisch-orthodoxe Patriarch treffend gesagt habe: «Es ist besser, hundert Jahre Gespräche als ein Jahr Krieg zu führen.»
Katharina Kilchenmann / reformiert.info
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