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Rechtsgrundsätze anwenden, Wertediskussion vermeiden

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16.02.2017
Für Hans Georg Signer, Experte für den Umgang mit religiösen Fragen an der Schule, macht es wenig Sinn, die Pflicht zum Händedruck in die Verfassung aufzunehmen, wie es die Baselbieter Regierung plant. Den Schulen empfiehlt er, die vorhandenen Rechtsgrundsätze zu beachten und solche Konflikte pragmatisch zu lösen.

Vor gut 16 Jahren überreichte Hans Georg Signer einem jüdischen Schüler das Maturzeugnis im Rahmen einer kleinen Familienfeier in seinem Büro. Der orthodoxe Glaube des jungen Mannes liess es nicht zu, am offiziellen Anlass in der reformierten Basler Pauluskirche teilzunehmen. Eine pragmatische, für alle befriedigende Lösung, sei das gewesen, erzählt Signer. Der ehemalige Gymnasiallehrer, Rektor und bis 2014 Leiter des Bildungsbereichs im Erziehungsdepartement Basel-Stadt beschäftigt sich seit Jahren intensiv mit dem Spannungsfeld Religion und Schule. Unter anderem verantwortet er die Handreichung «Umgang mit religiösen Fragen an der Schule», deren erste Auflage 2007 erschien. Zu diesem Thema sprach Signer auch an der Tagung «Welche Werte gelten» von Mission 21 am 13. Februar in Basel.

Würde es wieder machen
Er würde es wieder gleich machen mit der Maturfeier, sagte Signer. Ob dies jedoch heute möglich wäre, ohne Wellen zu schlagen, bezweifelt er, und erinnerte an den Händedruck, den zwei muslimische Schüler ihrer Lehrerin an der Sekundarschule in Therwil verweigerten. Die Nachricht ging im Frühling 2016 um die Welt und noch heute zieht der Vorfall seine Kreise. Denn wenn es nach der Baselbieter Regierung geht, soll der Händedruck in die Kantonsverfassung und das Bildungsgesetz aufgenommen werden.

Dies sieht Hans Georg Signer skeptisch. «Die Schulen regeln Fragen des Zusammenlebens am besten selber», meinte er. Man solle es ihnen überlassen, wie sie mit dem Händedruck umgehen. «Die Schule ist ein System von hervorragenden pragmatischen Problemlösungen.»

Ausserdem habe der Umgang mit religiösen Fragen vor allem mit der Gestaltung von Beziehungen zu tun. Auch auf diesem Gebiet attestiert Signer der Schule eine «umfassende Zuständigkeit». Schulübergreifende Regelungen solle man nur im Notfall erlassen, falls die Schulen verunsichert seien.

Normen und Werte
Die Schule habe den Auftrag, gesellschaftliche Normen und Werte zu vermitteln. «Keine Institution leistet einen grösseren Beitrag zur Integration und zum friedlichen Zusammenleben als die Schule. Sie ist wohl die wirksamste gesellschaftliche Klammer», betonte Signer.

Doch was sind Normen und was Werte? Unter Letzteren verstehe man Abstraktes wie Frieden, Liebe oder Toleranz, während Normen praktisches Handeln und Verhaltensregeln beinhalten. «Normen beruhen auf Werten und werden durch diese legitimiert», so Signer. Der Wert «Respekt» finde seine Umsetzung im Schulalltag beispielsweise in der Regel «Ich warte, bis ich dran bin».

Signer fordert von den Schulen, dass sie Toleranz, Gewaltfreiheit, Gemeinschaftssinn, Verantwortungsbewusstsein und Diskriminierungsverbot «konsequent vorleben, einüben und einfordern». In Konfliktsituationen empfiehlt er ihnen, «entspannt» die existierenden Rechtsgrundsätze anzuwenden und sich nicht in Wertediskussionen zu verstricken. Denn Demokratien seien nicht in erster Linie Wertegemeinschaften, sondern gründeten auf Rechtsordnungen, «die eine Pluralität von Wertorientierungen freigeben». Von einer «demokratischen Leitkultur» zu sprechen, ist für Signer darum «ein Widerspruch in sich selbst».

Wenn Religionsfreiheit und Schulobligatorium kollidieren
Allerdings sei auch die Rechstordnung nicht widerspruchsfrei, sagte Signer. So könne die Religionsfreiheit mit dem Schulobligatorium kollidieren, etwa bei der Einhaltung von religiösen Feiertagen.

Als weitere Spannungsfelder im schulischen Alltag zählte Signer Schwimmunterricht und Schullager auf. Das Bundesgericht biete hier Orientierung. Es gewichte die Glaubens- und Gewissensfreiheit sowie den Bildungs- und Integrationsauftrag der Schule stark. So schütze es das Recht auf Schuldispens an religiösen Feiertagen oder – mit Ausnahme der Burka – auf das Tragen von religiösen Symbolen wie Kippa, Kopftuch und Habit, aber auch die Schulpflicht. Dazu gehören als obligatorische Veranstaltungen Schullager und Schwimmunterricht, die von allen Schülern besucht werden müssen.

Karin Müller / 16. Februar 2017

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