Reformation als Kunstobjekt
Was ein mit einer Autobatterie verkabeltes, gewundenes Blech aus dem leitfähigen Material Silber mit dem Zürcher Reformator Heinrich Bullinger zu tun hat, mag auf den ersten Blick erklärungsbedürftig sein. Die gestern eröffnete Ausstellung «Die Stral – Nachrichten von Heinrich Bullinger» im Hauptgebäude der Universität Zürich schafft diese Verbindung – und das auf eindrückliche Art und Weise.
Ausgangslage der Schau anlässlich der Reformationsfeierlichkeiten ist ein 12’000 Dokumente umfassender Briefwechsel zwischen dem Reformator, Humanisten und Historiker Bullinger (1504–1575) mit Geistlichen, Königen, Fürsten, Händlern und Studenten in ganz Europa. Es handelt sich um die «grösste bekannte Briefsammlung der Neuzeit», wie Peter Opiz, Professor am Institut für Schweizerische Reformationsgeschichte am heutigen Medienrundgang ausführte. Mit seinem Team hat er über Jahre rund einen Viertel der Texte ediert, sprich: «In mühsamer Knochenarbeit» von Neulatein auf Deutsch übersetzt.
Bis heute stehe Bullinger in der Geschichtsschreibung im Schatten Zwinglis, dessen Nachfolger er als Pfarrer im Grossmünster war (1531–1575). «Dabei war es Bullinger, der die Zürcher Reformation dauerhaft geprägt hat.»
Objekte, die es donnern lassen
Was hat das nun aber mit den fünf Installationen zu tun, die im Foyer West unterhalb des Lichthofes stehen? Sie nehmen Replik auf ein Ereignis im Jahr 1572 – am 7. Mai entlud sich nach Jahren extremer Wetterlagen und Ernteausfällen der Himmel über Zürich und ein Blitz schlug ins Grossmünster ein. Was heute als Naturphänomen verstanden wird, war in Zeiten konfessioneller Richtungskämpfe als Zeichen Gottes interpretiert worden. War der Blitzschlag ein göttlicher Fingerzeig gegen die Zürcher Kirchenoberen? In zahlreichen Briefen versuchte Bullinger zu relativieren und die Deutungshoheit über den «göttlichen Blitzschlag» zu wahren.
Diese im Briefwechsel ausführlich dokumentierte Episode diente dem Schweizer Künstler Florian Germann als «energetischer Stoff». Daraus entstand unter anderem auch die glockenähnliche Aluminiumskulptur, die gleichzeitig einer Gauss’schen Kurve entspricht. «Um zu berechnen, wie gross die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Blick innerhalb von tausend Jahren wieder ins Grossmünster einschlägt.» Zum Objekt gehört ein Lautsprecher mit Donnergrollen. Wen wundert’s: «Stral» – wie die Ausstellung ja heisst – bedeutet auf Frühneuhochdeutsch nichts anderes als «Blitz».
Handbuch zum Mitnehmen
Teile der Korrespondenz von Heinrich Bullinger liegen in der rund 300 Seiten umfassenden, bebilderten Publikation «Nüwe Zyttungen» zum Mitnehmen auf. «Die Publikation gibt Einblicke in ein aktives reformatorisches Nachrichtennetzwerk», erklärt Kurator und Herausgeber Luca Beeler. «Heute ist man über Social Media mit der ganzen Welt vernetzt – während der Reformation hatte der handschriftliche Brief eine ähnliche Funktion.» Die Handschriften selber sind an der Ausstellung nicht ausgestellt – die wertvollen Zeitzeugen werden im Staatsarchiv aufbewahrt.
Sandra Hohendahl-Tesch, reformiert.info, 18. Mai 2018
Reformation als Kunstobjekt