Schaffhausen: Als ein «hoffärtiges Mönchlein» den neuen Glauben brachte
Auch in Schaffhausen war am Vorabend der Reformation das Leben sehr vieler Menschen von grossen Ängsten geprägt. Missernten, Hungersnöte, Kriege, Pest, Furcht vor Hexen, Teufeln, Dämonen und vor einem plötzlichen Tod brachten oft eine übersteigerte, nervöse Frömmigkeit hervor. Das Spätmittelalter war eine Blütezeit von Heiligenverehrung, Wallfahrten und Reliquienkult. So unternahm der Schaffhauser Ratsherr und Weinhändler Hans Stockar eine Wallfahrt nach Jerusalem und suchte regelmässig die Heiligtümer der Umgebung auf. Schriften Luthers stiessen auf grosses Interesse, vor allem im Kloster Allerheiligen unter seinem letzten Abt Michael Eggenstorfer und in einem Kreis um den Stadtarzt -Johannes Adelphi.
Politisch exponierte Lage
1501 wurde Schaffhausen als zwölfter Ort in die Eidgenossenschaft aufgenommen. Nördlich des Rheins gelegen und auf drei Seiten von habsburgischen Landen umschlossen, mit deren Bevölkerung ein enger Handelsverkehr und viele persönliche Beziehungen bestanden, befand sich Schaffhausen politisch in einer exponierten Lage, ein Grund dafür, dass seine Regierung in den Angelegenheiten der Reformation eine eher konservative Politik führte.
Reformatorische Verkündigung
Die massgebenden Impulse zur Erneuerung der Kirche gingen vom Franziskaner Sebastian Hofmeister aus. Er war ein gebürtiger Schaffhauser, hatte in Paris studiert und doktoriert und war in den Franziskanerklöstern von Zürich, Konstanz und Luzern als Lesemeister tätig gewesen. Als er in Luzern das Evangelium nach «höchstem vermögen und flyss» predigte, «nit anders denn das Wort Gottes der göttlich geschrifft», wurde er als trutziges, hoffärtiges Mönchlein der Ketzerei angeklagt und vertrieben.
Im Herbst 1522 kam er nach Schaffhausen zurück. Er predigte im Barfüsserkloster, in der Stadtkirche St. Johann und im Agnesenkloster und fand in kurzer Zeit eine breite Anhängerschaft. Im Frühjahr 1523 schrieb er an Zwingli: «Bei uns wird Christus mit höchstem Begehren angenommen, Gott sei Dank. Viele, die einst die schärfsten Feinde waren, kommen zur Vernunft.»
Hofmeister setzte Gottesdienstreformen durch und sorgte dafür, dass «allerlei Zeremonien und Zünselwerk» aus den Kirchen verschwanden. Aus mehreren Kirchen wurden Altäre und Bilder ausgeräumt. Der Text der Messe wurde geändert und die Gottesdienste wurden in deutscher Sprache gefeiert, 24 Heiligenfesttage wurden abgeschafft. Schaffhausen erhielt eine neue Almosenordnung. Doch zu einem offiziellen Reformationsbeschluss kam es nicht.
Spannungen entstanden im Jahr 1525. Vertreter der theologisch radikalen Bewegung der Täufer, welche die Erwachsenentaufe lehrten und aus Zürich vertrieben worden waren, kamen ins Klettgau und gewannen Anhänger. Da die Rebleute wegen einer Missernte im Jahr zuvor ihre Abgaben nicht bezahlen konnten, rebellierten sie. Es entstanden Unruhen. Sebastian Hofmeister und sein Mitstreiter Sebastian Meyer wurden der Sympathien für die Täufer und die aufmüpfigen Rebleute verdächtigt und aus der Stadt verbannt. Die Haltung des Rates der Reformation gegenüber blieb weiterhin schwankend. Noch 1528 stimmte der Kleine Rat mehrheitlich für die Beibehaltung der Messe.
Reformationsbeschluss ohne Reformator
Doch am 29. September 1529, dem Michaelistag, wurde die Reformation durch Ratsbeschluss eingeführt. Politische Gründe waren massgebend. Mit dem Beitritt Berns und Basels zur Reformation hatten sich die kirchlichen und politischen Machtverhältnisse in der Eidgenossenschaft zugunsten der Reformation verändert.
Es war ein Reformationsbeschluss ohne Reformator. Ein profilierter Theologe fehlte. Die Messe wurde abgeschafft, Altäre und Bilder entfernt, darunter auch der «Grosse Gott von Schaffhausen», ein monumentales Holzkruzifix im Münster. Der Rat verabschiedete eine Reformationsordnung, nach der das Wort Gottes nach der biblischen Schrift und ohne Vermischung mit menschlichen Zusätzen gepredigt, Taufe und Abendmahl nach streng biblischen Grundsätzen gefeiert werden sollten. Ein evangelischer Religionsunterricht wurde eingeführt, die Ehegerichtsbarkeit neu geregelt.
Die Erneuerung des kirchlichen Lebens brauchte aber seine Zeit. Aus den 1530er-Jahren sind Klagen bekannt, wonach die Kirchen auf dem Land aussähen wie Viehställe, da die Überreste von Bilderstürmen nicht aufgeräumt worden seien, und wonach die Sittlichkeit der Bevölkerung zu wünschen übrig lasse. In einzelnen Gemeinden sei «nütt verendert und ernüwert», in anderen stehe noch der Altar, in einer dritten wolle «der pfaff» weiterhin die Messe lesen. Erst das kompetente und umsichtige Wirken des «zweiten» Reformators Johann Konrad Ulmer von 1566 bis zu seinem Tod 1600 brachte der Kirche Profil und Stabilität. Aussenpolitisch arbeitete die Schaffhauser Kirche mit den Kirchen der reformierten Orte, mit Zürich, Bern und Basel, eng zusammen. Im Inneren (Gottesdienst, Kirchengesang, Katechese) verfolgte sie ihren eigenen Kurs.
Erich Bryner, Kirchenbote, 22.2.2017
Schaffhausen: Als ein «hoffärtiges Mönchlein» den neuen Glauben brachte