Seit 22 Jahren für die Kirche unterwegs
Stephan Ackermann, warum treten Sie nach acht Jahren zurück?
Es ist eine Frage der zeitlichen Ressourcen. Ich wurde vor drei Jahren in den Landrat gewählt und habe auf den 1. April das Fraktionspräsidium übernommen, das wird mir zu viel mit dem Engagement als Kirchenrat. Zudem habe ich vor acht Jahren mein Amt gleichzeitig mit Matthias Plattner und Cornelia Hof angetreten. Für die Kontinuität finde ich es gut, wenn wir gestaffelt zurücktreten.
Sie führten das Departement «Gemeindeentwicklung und Erwachsenenbildung». Was waren die Highlights?
Gleich zu Beginn meiner Amtszeit erarbeiteten wir ein Erwachsenenbildungskonzept. Wir konnten einige Ideen umsetzen. Was nicht so gut funktionierte, war die Zusammenarbeit unter den Kirchgemeinden. Viele betrachteten die anderen und die Kantonalkirche als Konkurrenz. Weiter haben wir endlich die Prävention aufgegleist, um Grenzverletzungen gegenüber Schutzbedürftigen zu verhindern. Wegen der Corona-Pandemie konnten wir bisher leider nur einen Kurs durchführen. Besonders am Herzen liegen mir die «Zäme fiire »-Gottesdienste für Menschen mit und ohne Behinderung.
Was gefiel Ihnen weniger?
Die Arbeit an den neuen Gesetzestexten wie der Verfassung, der Finanz- und der Kirchenordnung. Diese erste Gesamterneuerung seit den Sechzigerjahren war natürlich sehr wichtig für unsere Kirche. Doch es ist eine trockene Materie. Obwohl ich ein politischer Mensch bin, arbeite ich lieber an Themen, bei denen ich direkt etwas bewirken kann.
Was hätten Sie gerne verwirklicht?
Ich hätte gerne gezeigt, wie man die Angebote der Spezialpfarrämter und Fachstellen verstärkt nutzt. Diese könnten zu fixen Einrichtungen werden wie eben der «Zäme fiire»- Gottesdienst. Hätte ich mehr Zeit gehabt, hätte ich das Erwachsenenbildungskonzept verpflichtender umgesetzt und häufiger bei den Kirchgemeinden angeklopft, um Interessierte ins Boot zu holen.
Den Kirchgemeinden ist die Autonomie wichtig.
Ja, auch politisch hat die Gemeindeautonomie in unserem Kanton einen hohen Stellenwert. Man kann als Kantonalkirche trotzdem Führung übernehmen, wenn man dies überzeugend begründet. Mit der neuen Verfassung ermöglichen wir die Fusion von Kirchgemeinden. Einige wären vielleicht froh, wenn man ihnen den Weg weist, etwa kleine Kirchgemeinden, die keine Ressourcen haben. Aber es ist eine Gratwanderung, man muss darauf achten, dass die Kirche im Dorf bleibt.
Sollte der Kirchenrat die Zügel fester in die Hand nehmen?
Ich finde es wichtig, dass man gemeinsam beschliesst, wohin es gehen soll. Das hat mir in den letzten Jahren gefehlt. Wir waren mit unseren Reglementen und Verordnungen beschäftigt. Ich habe in einer Sitzung vorgeschlagen, dass wir die Kirche abschaffen, weil es sie nicht mehr braucht …
Höre ich richtig?
So etwas konnte ich als Abtretender sagen. Nein, ich bin überzeugt, dass die Kirche ihre Daseinsberechtigung hat. Was ich damit bezwecken möchte, ist, dass wir uns überlegen, wo braucht es die Kirche noch? Wo haben wir in den letzten 500 Jahren Verantwortung abgeben können. Viele Aufgaben hat der Staat übernommen oder wir haben Konkurrenz bekommen. Gerade bei der Weiterbildung kann man sich fragen, was die Kirche noch anbietet, das man in der Migros Klubschule oder in der Volkshochschule nicht auch bekommt. Ich bin jedoch überzeugt, wir stossen auf Angebote, die es nur bei uns gibt, für Leute, um die sich niemand in unserer Gesellschaft kümmert. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Jesus war auch für die Schwachen da, für jene, die von den Regierenden vernachlässigt wurden. Das verstehe ich unter «wirklich Kirche sein». Für mich ist der Einsatz der Kirche im täglichen Leben entscheidend.
Betrachtet man das Angebot der letzten Jahre, hat man das Gefühl, die Erwachsenenbildung verschwindet aus der Kirche.
Das hat mit dem gesellschaftlichen Wandel zu tun. In den 60er- und 70er-Jahren besassen die Kantonalkirchen florierende Tagesstätten, die Gemeinden verfügten über ein Kirchgemeindehaus als Zentrum, wo man sich weiterbilden konnte. Das ist heute völlig anders. Das Internet eröffnet einen neuen Zugang zur Weiterbildung. Die Kirche sollte sich hier einbringen. Im Web kursieren etliche Verschwörungstheorien, auch religiöse. Dem sollte sich die Kirche stellen, indem sie auf ihren digitalen Plattformen eine sachliche und fundierte Diskussion ermöglicht. Darum ist das RefLab der Zürcher Kantonalkirche spannend. Solche Projekte braucht es in Zukunft. Nicht jede Kirchgemeinde oder Kantonalkirche für sich, sondern miteinander.
Zu den Evergreens der kirchlichen Erwachsenenbildung gehört der Theologiekurs für Erwachsene.
Den Theologiekurs erachte ich als sehr wertvoll. Es ist interessant, welchen Erfolg er in der Region hat. Im Vergleich zu anderen Kantonen wird er bei uns sehr gut besucht.
Woran liegt das?
An der gut vernetzten Kursleitung und der Qualität. Der Theologiekurs eignet sich für Leute, die sich einen volleren theologischen Rucksack wünschen. Wir müssten in der Gesellschaft theologische Rucksäcke verteilen, die Interessierte aufgreifen können. Wichtig ist, dass man den Inhalt kritisch reflektiert unter dem Motto «selber denken»: Ist das glaubwürdig? Wird dies so gelebt? Stimmt das für mich?
Warum brauche ich einen theologischen Rucksack?
Im Leben gibt es Schlüsselereignisse, die uns überwältigen und mit Sinnfragen konfrontieren. Haben wir einen theologischen Rucksack, wissen wir, was uns das Christentum und die Bibel dazu mitgibt, und müssen nicht auf Rituale und Verse aus dem fernen Osten zurückgreifen, die wir auf einem Kalenderblatt gelesen haben.
Wird Ihr kirchliches Engagement auch in Ihre politische Arbeit einfliessen?
Meine Einsicht in gesellschaftspolitische Themen fliesst sicher ein, ich werde mich weiterhin für die Schwachen und die Schöpfung einsetzen. Es gibt viele Politikerinnen und Politiker, denen die Kirche wichtig ist. Gerade ist im Landrat ein Vorstoss eingegangen, der die Kirchensteuern für juristische Personen abschaffen will. Hier kann ich erklären, was die Kirche für die Gesellschaft leistet, und so hoffentlich möglichst viele überzeugen, dass es eine schlechte Idee ist, diese Steuern abzuschaffen.
Interview: Karin Müller
Seit 22 Jahren für die Kirche unterwegs