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«Sexualmoral und Reformation sind eng miteinander verbunden»

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26.10.2016
Im November kommt die Romanverfilmung «Finsteres Glück» in die Kinos. Regisseur Stefan Haupt über Schuld, die Kraft des Isenheimer Altars und den Reformator Zwingli, über den er gerade einen Film dreht.

Herr Haupt, was hat Sie an Lukas Hartmanns Roman «Finsteres Glück» so fasziniert, dass Sie ihn verfilmt haben?
Ich hatte eigentlich nie im Sinn, einen Roman zu verfilmen. Als aber Lukas Hartmann mir sein Buch zuschickte und mich fragte, ob mich das interessieren würde, begann ich es zu lesen, – und es hat mich tief berührt. Zum Teil war ich zu Tränen gerührt, was selten geschieht.

«Finsteres Glück» erzählt eine mehrschichtige Geschichte.
Ja. Ohne viel über den Inhalt verraten zu wollen, handelt der Film von der Familie als Ort der Geborgenheit, in der man getragen wird, selbst wenn die Umstände schwierig sind. Nach dem Tod seiner Eltern kommt der Knabe Yves vorübergehend in die Familie der ihn betreuenden Psychologin Eliane. Deren eigene Familie ist gerade am Auseinanderbrechen. Die Geschichte fragt: Was können sich Menschen schenken? Wie entsteht Geborgenheit, wie Liebe? Ein weiteres Thema des Films ist die Schuld, die alle Personen des Films begleitet.

Andere Regisseure hätten aus dem Stoff der «Patchworkfamilie» eine Komödie gemacht.
Vielleicht – aber wohl kaum aus dieser Patchworkfamilie. Komödien entsprechen dem Mainstream. Oft wollen die Leute auf der Leinwand glückliche Menschen sehen.

Warum?
Täglich werden wir mit Schreckensmeldungen bombardiert. Als Gegenpol suchen die meisten Zerstreuung. Dagegen ist nichts einzuwenden. Doch ich selber finde es beglückender, mich in Stoffe vertiefen zu können, aus denen man gestärkt hervorgeht. «Finsteres Glück» erzählt eine starke Geschichte von der Kraft und dem Mut, sich dem eigenen Schicksal zu stellen.

Der Film erzählt auch von Schuld und Tod. Leben wir alle im «Finsteren Glück»?
Mich hat die Ambivalenz, das Nebeneinander von Hell und Dunkel schon immer herausgefordert. Natürlich gibt es die Tendenz, den Tod, die Schuld und die dunkeln Seiten des Lebens auszublenden. Doch nach meiner Erfahrung wird das Leben ganzheitlicher und tiefer, wenn man alles ins Blickfeld rückt.

Die Katholiken kennen die Beichte, in der die Sünden vergeben werden. Fehlen heute solche Institutionen?
Die Psychotherapie hat sicher einen Teil der Beichte übernommen. Ich arbeite zurzeit an einem Film über den Reformator Zwingli. Zum Glück kennen ja auch die Reformierten die Vergebung. Doch ist es möglicherweise einfacher, wenn man, wie bei den Katholiken, seine Sünden im Beichtstuhl bekennen kann und der Priester einem sagt, was man zu tun habe und dass man nun wieder neu beginnen könne. Bei den Dreharbeiten erklärte ich dem achtjährigen Noé, was ihn in seiner Rolle als Yves belastet und wie sich Yves davon löst. Noé verstand das augenblicklich und meinte, dann sei das so, als würde einem ein riesiges Gewicht von der Schulter genommen und man könne wieder frei durchatmen. Ich war baff über diese klare Antwort.

Im Zentrum der Geschichte steht der Isenheimer Altar. Haben Sie eine besondere Beziehung dazu?
In meiner Jugend fuhren meine Eltern mit mir nach Colmar. Die Bilder haben auf mich einen ungeheuren Eindruck gemacht – vor allem die Kreuzigung. Diese grausame, ungeschminkte Darstellung der Hinrichtung Jesu beschönigt nichts. Ich war auch fasziniert von der gewaltigen Auferstehung Christi, die mit ihren Farbkreisen an Pop-Art erinnert. Später entdeckte ich deren Kraft und Symbolik auch in einem noch viel umfassenderen Sinn – es sind Urbilder, die in uns Menschen angelegt sind.

Am Ende des Films steht Eliane vor dem Auferstehungsbild und sagt: «Manchmal möchte man eben an Wunder glauben!» Und die Tochter meint: «Vielleicht seht ihr sie einfach nicht.»
Die Tochter meint dies schnippisch. Mir gefällt diese lakonische, heitere Art, sich Wundern zu nähern.

Manchmal müsste man diese Wunder nur sehen und das Leben wäre so einfach?
Das Einfachste ist oft das Allerschwierigste. Häufig müssen wir komplizierte und schwierige Wege gehen, um zu einer grossen Einfachheit zu gelangen.

Zu einem anderen Stoff: Sie arbeiten zurzeit an einem Film über den Reformator Zwingli. Was reizt Sie an dieser Persönlichkeit?
Vieles. Erstens bin ich Zürcher und Zwingli gehört zur Kultur und Geschichte dieser Stadt. Oftmals äussert man sich abschätzig über das Zwinglianische. Letzthin erklärte mir jemand, der Reformator sei doch der Taliban von Zürich gewesen. Solche Aussagen verkennen die Geschichte vollkommen.

Inwiefern?
Zwingli war eine lebensbejahende und vitale Persönlichkeit. Nur weil er die Musik aus der Kirche verbannte, bedeutet dies nicht, dass er die Musik hasste. Im Gegenteil: Er liebte die Musik und beherrschte ein Duzend Instrumente.

Also kein biederer und lustfeindlicher Kirchenmann?
Auch das stimmt nicht. Sexualmoral und Reformation sind eng miteinander verbunden. Zwingli distanzierte sich von der heuchlerischen Doppelmoral der katholischen Kirchen. Priester, Chorherren und Kapläne hatten damals sehr oft ihre Mätressen und Kinder und zahlten dem Bischof dafür Ablassgelder. Der Reformator wollte dies nicht mitmachen und heiratete öffentlich in der Kirche. Das war von ungeheurer Brisanz und ist es heute noch. Stellen Sie sich das heute vor, ein Priester, der wegen einer Liebesbeziehung nicht aus der katholischen Kirche austritt, sondern sich in der eigenen Kirche trauen lässt.

Im Gegensatz zu Luther wird Zwingli kaum als Held gefeiert.
Ja, – doch das müsste nicht so sein. Unser Sozial- und Bildungswesen beispielsweise wurde stark von Zwingli geprägt. Er setzte sich tatkräftig dafür ein, dass die Leute lesen lernten. Sie sollten die Bibel selber lesen und verstehen können. Dazu musste er die Bibel übersetzen und den Menschen das Lesen beibringen. Die Zürcher Bibel ist die erste vollständige deutsche Bibel. Zudem bekämpfte er erfolgreich das Söldner- und Kriegswesen. Doch als er sah, dass die Reformation von den katholischen Orten bedrängt wurde, befürwortete er den Krieg, um den neuen Glauben zu schützen. So verstrickte er sich in militärische Machtkämpfe und fand den Tod auf dem Schlachtfeld. Ulrich Zwingli ist sicher eine der wichtigsten und auch eine tragische Figur der Schweizer Geschichte.

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

Interview: Tilmann Zuber / Kirchenbote / 26. Oktober 2016

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