Sklaverei im Südsudan: 15 Dollar für ein Leben
Die ersten Lebensjahre von Helena Adelino verliefen unbeschwert. Sie besuchte einen Kindergarten im Südsudan, der damals noch mit dem heutigen Sudan vereint war und bis zur Trennung der grösste Flächenstaat Afrikas. Sie hatte ein paar Geschwister und musste erste kleine Haushaltsarbeiten erledigen. Sie war stolz darauf, dass sie schon selbst Wasser holen konnte. Gern spielte sie mit ihren Freundinnen, bis eines Tages berittene Regierungsmilizen ins Dorf eindrangen. Männer wurden umgebracht, Frauen und Kinder verschleppt. Darunter auch Helena, die sich noch an die Schreie und brennenden Hütten erinnert.
«Sie trieben uns wie Vieh»
Die kleine Karawane musste marschieren. «Wir wurden wie Vieh getrieben.» Immer wieder hagelte es Schläge, flankiert von «Allahu-Akbar»-Rufen. «Wer nicht mehr konnte, wurde nieder-geschlagen und getötet.» Längst nicht alle überlebten den Marsch, der in einem Lager endete. Von dort aus wurden die schwarzafrikanischen – meist christlichen oder animistischen Gefangenen als Sklaven in arabische Familien aus dem Norden verkauft; darunter auch Helena. Die Sechsjährige musste putzen, auf dem Acker arbeiten, Wasser holen und mit den Jahren kochen und sich um die Kinder der Familie kümmern. Passte den Besitzern die Arbeit nicht, kassierte sie Prügel. Ihre einzige Freude waren Isa, Nonoya und Hohwa, jene drei Kinder des Besitzers. «Sie sagten Schwester zu mir. Das hat mir sehr gutgetan», blickt Helena zurück.
Als sie 13 war, vergewaltigte Mohammed, der älteste Sohn der Familie, sie mehrfach. «Die Schmerzen waren enorm.» Doch statt zu helfen, verlangten seine Eltern aus einem anderen Teil des Hauses, dass sie still sein soll. Bald danach wurde sie in eine andere Familie weitergegeben.
Sie war Sklavin und zugleich die dritte Frau ihres neuen Besitzers, der ebenfalls Isa hiess. Von den beiden anderen Frauen erntete sie Hass, Schläge und Mobbing. Isa zeugte mit ihr vier Kinder. Bei der ersten Geburt war Helena 15 Jahre alt. Da sich Helena um den Haushalt und die vielen Kinder kümmern musste, nannten diese sie «Mutter». Das bedeutete ihr zwar viel, vergrös-serte aber die Kluft zu den beiden anderen Frauen noch mehr.
Isa wollte, dass Osman und Bakhit auf die Koranschule gehen und später ebenfalls Sklavenjäger werden. Immer wieder wollte Isa Helena zum Islam zwingen. Seine Schläge wurden immer härter. «Er brach mir zwei Rippen.» Sie befürchtete, dass er sie töten würde und ihre Kinder dann ganz seiner Indoktrination ausgeliefert wären. Als sie eines Tages zu einer entfernten Wasserstelle ging, nahm sie die Kinder mit. Dann eilte sie mit ihnen von der Strasse weg und zog im Schutze des Waldes weiter. Sieben Tage dauerte es, bis sie den Süden erreichten, zwei Tage später ihre Heimat.
Wie Helena Adelino waren einst rund 300 000 Südsudanesen versklavt. Der inzwischen abgesetzte Diktator Omar al-Bashir wollte den Süden islamisieren und ein arabisches Grossreich implementieren. Immer wieder machte das Schweizer Werk Christian Solidarity International CSI auf diesen Missstand aufmerksam; CSI gelang es, Tausende aus der Sklaverei zu befreien. Helenas Geschichte ist im Buch «15 Dollar für ein Leben» niedergeschrieben. Wegen zahlreicher Gräuel wurde gegen -al-Bashir vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein Haftbefehl erlassen. In den letzten Wochen zeigte der Sudan Zeichen der Verbesserung, so wurde beispielsweise das Anti-Bekehrungsgesetz abgeschafft.
Daniel Gerber, 24.9.2020, Kirchenbote
Sklaverei im Südsudan: 15 Dollar für ein Leben