Solidarität bis zum Ende
«Sie, was halten sie eigentlich von Exit?» Ganz am Ende des Besuchs spricht die ältere Frau das Thema an, kurz vor der Verabschiedung. Über eine Stunde hatte sie mit der Pfarrerin gesprochen, doch die Frau hat sich diese Frage bis zum Schluss aufgespart. Es ist offensichtlich: Das Thema brennt ihr auf der Seele, aber sie braucht Mut, um es anzusprechen. Und fast herausfordernd fügt die Frau hinzu: «Ich bin dort angemeldet.»
Einsame Entscheidung
Diese Begegnung ist ein Beispiel dafür, dass der assistierte Suizid ein Tabuthema ist, das hier und dort oftmals nur hinter vorgehaltener Hand besprochen wird, auch in kirchlichen Kreisen. Viele Menschen haben den Eindruck: «Die Kirche» setzt sich dagegen ein. Deshalb traut sich kaum jemand zu sagen, dass es eine valable Option sei, mithilfe eines assistierten Suizids aus dem Leben zu scheiden – schon gar nicht gegenüber einer Pfarrperson. Die Erfahrung zeigt: Entscheidungen für den assistierten Suizid werden häufig einsam getroffen, selbst enge Angehörige werden nicht einbezogen. Wenn sich der Wunsch konkretisiert, werden Seelsorgende, wenn sie überhaupt noch vor dem Tod kontaktiert werden, oftmals vor vollendete Tatsachen gestellt. Ist dann seelsorgliche Begleitung gewünscht, kommt sie manchmal gar nicht zustande, weil die Pfarrperson aufgrund des persönlichen Gewissenskonflikts eine ablehnende Haltung zeigt.
Dagegen lassen sich durchaus Argumente einbringen: Sterbebegleitung ist grundsätzlich ein seelsorglicher Fall. Seelsorge ist Menschen ohne Ansehen der Person zugedacht. Nicht eine bestimmte Gesinnung entscheidet über eine Begleitung durch die Pfarrperson, sondern allein der Wunsch, begleitet zu werden. Auch im Grenzfall der Sterbebegleitung können Seelsorgende den Weg mitgehen, ohne mit den Handlungen und Entscheidungen des Gegenübers einverstanden zu sein. Die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn haben in diesem Zusammenhang festgehalten, dass es aus ihrer Sicht ein Recht auf seelsorgliche Begleitung für Sterbewillige und Angehörige bis zum Schluss gibt. «Auch im Zusammenhang mit assistiertem Suizid stellt seelsorgliche Solidarität keine Bedingungen», steht im Positionspapier des Synodalrats. Konkret heisst das: Pfarrpersonen sollen Menschen, die sie begleiten, auch im schwierigen Moment der Selbsttötung Beistand leisten, wenn diese das wünschen. Das wird möglich, wenn Seelsorgende den assistierten Suizid als Option akzeptieren. Sonst ist die Begegnung zu Ende – das «Worst Case»- Szenario in der Seelsorge.
(23. August 2019, Judith Engeler)
Solidarität bis zum Ende