Sonne, See und Sabotage
Die Anreise nach Carolinensiel verlief mit der Bahn derartig pünktlich und problemlos, dass ich als Deutscher insgeheim vor Stolz fast platzte. Seht ihr, wir können es doch!
Die Jugendlichen fanden sich im Lager via Musik erstaunlich schnell zusammen. So hörte ich am ersten Abend aus den Nachbarzimmern die lautstarken Tonalitäten von «Sie isch a Flamme» und ähnlichen wundervollen Weisen aus den Charts.
Warme Brötchen um zwei
Durch die Gesänge fühlte ich mich ermutigt, jedes Frühstück mit dem Song «Thank you Lord for giving us food» zu beginnen. Dies mit dem Erfolg, dass ich von just jenem Lied eines frühen Morgens so gegen 2 Uhr aus dem Schlaf gerissen wurde. Auf meine Nachfrage, warum ich zu derartig früher Stunde Ohrenzeuge dieses christlichen Kunstgenusses wurde, erhielt ich die lakonische Antwort: «Wir haben uns ein paar Brötchen aufgebacken.» Na denn, en Guete mitenand!
Unsere Tage waren von vielerlei Aktivitäten geprägt: Wir besuchten etwa ein Moormuseum und lernten die Wertigkeit des Hochmoores zur Heizenergiegewinnung im 18. Jahrhundert und ein Stück ostfriesische Geschichte kennen.
Austern und Wattwurm
Ein weiteres Highlight war die Wattwanderung. Morgens in aller Frühe standen wir fröstelnd in kurzen Hosen und alten Schuhen vor Wattführer Joachim. Er begrüsste uns im Berliner Dialekt und führte uns von einem Priel, einer mit Meerwasser gefüllten Vertiefung, zum nächsten. «Eenfach rinjehn», meinte er und platschte unbekümmert durch das kalte, mitunter oberschenkeltiefe Nass. Wir taten es ihm fasziniert gleich.
Immer wieder blieb Joachim stehen, präsentierte mal hier eine Auster, mal dort einen Wattwurm und erklärte die Auswirkungen des Klimawandels auf das Weltnaturerbe Wattenmeer.
Das Positive sehen
Am Abend gestalteten wir einen Jugendgottesdienst, an dem wir uns über unsere von Gott gegebenen Talente Gedanken machten. Alle sprachen Positives über ihren Nachbarn oder ihre Nachbarin.
Wir alle sind für etwas talentiert und können in Gottes Namen die Welt verbessern. Amen!
Hektische Abreise
Die Zeit flog dahin, und bald schon war der Tag der Rückfahrt gekommen. Ein bisschen melancholisch wird man dann ja doch.
Während ich auf dem Weg in mein Zimmer war, schrillte mein Handy. Ich zog es hervor und las: «Wegen eines Fehlers im Kommunikationssystem stellt die Deutsche Bahn den Verkehr in Norddeutschland ein.» Nichts fuhr. Absolut nichts. Was tun?
Hektisch suchten wir nach offenen Bahnhöfen. Der nächste befand sich in Nordrhein-Westfalen, geschlagene drei Autostunden entfernt. Also los!
Fährt sie, fährt sie nicht?
Während der Fahrt im Auto überschlugen sich die Ereignisse: Erst war von einem Computerfehler die Rede, dann von gezielter Sabotage, und schliesslich hiess es, der Bahnverkehr liefe wieder an. Also zurück zum Ursprungsbahnhof. Dort kam alsbald ein Regionalzug, der uns nach Bremen brachte. Die dortige IC-Verbindung nach Hannover hingegen fiel aus. Die nächste auch.
Wir endeten in einer übervollen Regionalverbindung nach Hannover. Wie sollte es dort weitergehen? Zwei ICE-Verbindungen nach Mannheim fielen ebenfalls aus.
Zu früh gefreut
Ich entsann mich, dass von Karlsruhe aus Züge nach Basel fahren. Also auf nach Karlsruhe! Und Heureka! Wir fanden eine Verbindung und sogar freie Plätze. Erleichtert liessen wir uns nieder. Doch dann kam die Ansage der Ansagen: «Die Abfahrt verspätet sich auf unbekannte Zeit, da der Lokführer dieses Zuges sich in einem Zug befindet, der auf unbekannte Zeit verspätet ist.» Wir waren platt.
Einzigartige Jugendliche
Irgendwann kam der Lokführer, und wir rollten störungsfrei gen Karlsruhe – und hatten unmittelbar Anschluss nach Basel. Um exakt 23.59 Uhr erreichten wir Dornach. Ich hatte die Ehre, neun fantastische junge Menschen zu begleiten, die, jeder und jede für sich, einzigartig sind, die liebevoll-solidarisch miteinander umgingen.
Das Gute pflegen
Was lehrt uns die Fahrt: Die Schöpfung ist einmalig. Es liegt an der Menschheit, sie zu bewahren. Denn es gibt keine zweite. Und das Gute im Menschen ist quicklebendig. Es will gepflegt werden.
Haiko Behrens, Pfarrer Dornach
Sonne, See und Sabotage