Theologe, Afrika-Kenner und Gastgeber – auch über den Tod hinaus
Man muss es sich als eine Art «Dinner for one» vorstellen, nur umgekehrt: Alle Freunde sind da, nur der Gastgeber, Al Imfeld, fehlt. Auch an diesem frühlingshaften Samstag ist das Wohnzimmer voll, an die zwanzig Menschen sind gekommen. Auf dem Salontisch hat es Käse, Oliven, Brote, und Fleisch. Getrunken wird Wein. Rosmarie, Imfelds langjährige Nachbarin, Vertraute und zuletzt Pflegerin, empfängt und bewirtet die Gäste, wie sie es die letzten zwanzig Jahre bereits oft gemacht hat. Zweimal die Woche füllt sich die Wohnung des verstorbenen Imfeld mit Leben. Bis im Mai bleibt seine Stube der Treffpunkt seines weiten Freundeskreises. So hat es Imfeld sich gewünscht.
«Gegensätze ziehen sich an»
Die Stimmung ist gelöst, viele der Besucher kennen sich und sind nicht das erste Mal hier, seit Al Imfeld verstorben ist. Alle paar Minuten klingelt es und neue Gäste treffen ein. Ein Platz findet sich für alle. Unter den Anwesenden ist Ueli Dubs, der regelmässig Wein nachschenkt und so etwas wie die Moderation der Runde übernimmt. Ein Part, den früher Al Imfeld übernommen hatte. «Gegensätze ziehen sich an», erklärt der ehemalige Banker und Vermögensberater Dubs in einer Vorstellungsrunde seine langjährige Freundschaft zu Al Imfeld. Zusammen haben die beiden ein Kunst- und Poesiebuch gemacht; nach dem Tod von Imfeld hat er ein Fotobuch zu Al und seinem Freundeskreis herausgebracht.
«Für mich wird Al immer ein grosses Vorbild bleiben», sagt eine andere Besucherin, die für eine Kinderhilfsorganisation arbeitet. Sie kann die Tränen schlecht zurückhalten. Dann ist da ein weiterer Gast, der nachdenkt, einen Film über Al Imfeld und seine Visionen zu drehen: «Mir ist wichtig, dass seine Ideen zur afrikanischen Stadt der Zukunft nicht verloren gehen.»
Niemand feierte Geburtstag wie Al Imfeld
«Ich bin keine Imfeldianerin», betont wiederum Chudi Bürgi. Die Expertin für afrikanische Literatur ist trotzdem regelmässig hier. Imfeld habe vielen Menschen geholfen, sich in der Szene zu etablieren. Auch ihr. An den Geburtstagen, wenn Al Imfeld jeweils tage-, später wochenlang seine Stube für alle geöffnet hatte, sei sie jeweils immer zu Besuch gekommen. «Ich kenne niemanden, der so gefeiert hat wie Al.»
Auch Antonia Schmid, die Witwe des Zeichners Werner Schmid, ist heute in der Runde dabei. Es ist ihr erster Besuch. Zusammen mit Al Imfeld hat ihr Mann «Po-Po-Poesie», einen Band mit erotischen Gedichten von Al Umfeld gemacht. Schmid hatte die Illustrationen beigesteuert. Er verstarb im vergangen November und konnte die Publikation Anfang Jahr nicht mehr erleben. Al Imfeld erlebte sie hingegen noch.
Malcolm X, Martin Luther King
«Ich hätte noch so viele Fragen an Al Imfeld gehabt», sagt schliesslich Katharina Rusch. Die junge Frau kannte niemanden, als sie aus Arbeitsgründen vor eineinhalb Jahren nach Zürich kam. Ihr Vater, der lange in der Entwicklungshilfe tätig war, sagte ihr: «Den Al Imfeld musst du unbedingt kennen lernen.» Das hat sie getan. Seit dem ersten Besuch fühlte sie sich zuhause in Als Stube. Sie kam regelmässig, um mehr über sein Leben zu erfahren: «Er begegnete Malcolm X, er kannte Martin Luther King. Er hat die Bürgerrechtsbewegung hautnah miterlebt.»
Al Imfelds Stube als soziale Skulptur
Al Imfeld war nicht nur ein Querdenker, er war auch ein leidenschaftlicher Gastgeber. Seine Stube an der Zürcher Konradstrasse, unweit des Zürcher Hauptbahnhofs, ist legendär. Sein letzter Wunsch war, dass dies auch nach seinem Tod so bleibt. Nun trifft sich Imfelds weiter Freundes- und Bekanntenkreis zweimal die Woche zu ausgedehnten Mittagessen. «Wir bilden als Als Freundeskreis eine Art soziale Skulptur», meint Rosmarie, und zitiert dabei den deutschen Künstler Joseph Beuys, auch er im Übrigen ein Bekannter von Al Imfeld.
Auf dem Korbstuhl, auf dem einst Al sass, ist eine Art Altar aufgestellt, mit Fotografien von Imfeld, davor Kerzen. Der Gastgeber mag fortgegangen sein. Seine Ideen leben jedoch in dieser Form weiter. Der Freundeskreis denkt darüber nach, die Treffen über den Mai hinaus weiterzuführen. Nur die Stube wird es dann nicht mehr geben.
Susanne Leuenberger / ref.ch / 31. März 2017
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
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