Tote Tage und rauchige Nächte
Guido Winter ist Gärtnermeister im Rüttihubelbad bei Walkringen. Der Waldorfschullehrer (Rudolf Steiner Schule) bietet im Sommer Gartenführungen an. Jetzt, wo alles Stein und Bein gefroren ist, gibt es nicht viel zu sehen. Er beschreibt, was der Winter für die Pflanzen bedeutet. Wie sie ihre Säfte ganz und gar zurückgezogen haben und das biologische Leben stillsteht.
«Es ist die Zeit der Ruhe. Die meisten Pflanzen hören auf zu wachsen, und im Garten gibt es nichts zu tun. Die Nächte sind lang, und die Tage bringen nur wenig Licht. Die Farben des Sommers sind weg und die des Frühlings sind noch nicht da», sagt Winter; das sei eine ideale Zeit, um auch selber zur Ruhe zu kommen und das Neue entstehen zu lassen.
Untote und verlorene Seelen
Es sind tatsächlich aussergewöhnliche Tage und ganz besondere Nächte, jene rund um den Jahreswechsel. Rau- oder Rauchnächte werden sie im Volksmund genannt. Ob dieses Wort auf «ruuch» – also haarig – zurückgeht oder auf Rauch: In beiden Fällen klingen darin die alten Bräuche an, die bis heute in der Woche zwischen den Jahren stattfinden.
In Fell gehüllte Gestalten vertreiben die Geister, Bauern räuchern mit Weihrauch den Stall. «Die Bräuche gehen bis ins 16. Jahrhundert zurück», sagt Meret Fehlmann, Kulturwissenschaftlerin an der Universität Zürich. Die Menschen glaubten, dass in dieser Übergangszeit die Grenzen zwischen der physischen und der geistigen Welt durchlässiger seien. Geister, Untote und verlorene Seelen konnten dadurch ihr Unwesen treiben. «Bis heute kennt man, vor allem im Alpenraum, noch alte Traditionen und Rituale, mit denen Haus und Hof geschützt werden.»
Räuchlipfanne und gute Vorsätze
Einer dieser Bräuche hat es sogar in die «Liste der lebendigen Traditionen» geschafft, die das Bundesamt fĂĽr Kultur 2012 lancierte. In Appenzell Innerrhoden wird an Heiligabend vielerorts mit der «Räuchlipfanne gräuchled». Und das Schutzritual fĂĽr Haus, Hof und Tiere wird gegen Ende der Altjahreswoche nochmal wiederholt.Â
Die Kulturwissenschaftlerin Meret Fehlmann beobachtet, dass das alte Brauchtum derzeit wieder mehr Beachtung findet. «Ganz weg war es wohl nie, aber in den letzten Jahren scheint es wieder üblicher zu sein, dass man das Haus räuchert und damit – neuheidnisch gedeutet – Dämonen vertreibt und positive Kräfte hereinbittet. Dasselbe Ziel haben wohl auch die guten Vorsätze, die man auf Neujahr hin fasst. Ob sie dann eingehalten werden oder nicht, ist gar nicht so wichtig.»
Dreikönigspräparat und Neustart
Gärtnermeister Guido Winter verteilt seit einigen Jahren jeweils am 6. Januar das sogenannte «Dreikönigspräparat». Dafür vermischt er zerriebenes Blattgold mit Weihrauch, Harz, Myrrhe und Honig zu einer Paste. «Das Präparat wurde aufgrund anthroposophischer Erkenntnisse entwickelt», erklärt er. «Und wenn ich es verteile, glaube ich, eine Wirkung in der Pflanzenwelt zu spüren.»
Messbar sei das natürlich nicht, es sei vielmehr eine Erfahrung. «Das ist es auch, was in den Raunächten besonders deutlich wird: Es ist wichtig, die eigene Mitte zu finden. Sich nicht von Vergangenheit und Zukunft bedrängen zu lassen, und zu lernen mit den Kräften, die einen umgeben, umzugehen.»
Tote Tage und rauchige Nächte