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Ewigkeitssonntag

«Trauern ist körperliche Arbeit»

von Noemi Harnickell
min
18.10.2023
Am 26. November gedenken wir mit dem Ewigkeitssonntag der Verstorbenen. Sonja Wieland, Pfarrerin in Wintersingen, erzählt, warum Trauerrituale wichtig sind.

Frau Wieland, was bedeutet Ihnen der Ewigkeitssonntag?

Ich habe den Ewigkeitssonntag je länger, je lieber. Er fällt jeweils auf den letzten Sonntag im Kirchenjahr – das fängt, anders als das Kalenderjahr, mit der Adventszeit an. Wir laden jeweils Trauerfamilien, die im vergangenen Kirchenjahr jemanden verloren haben, zum Gottesdienst ein. Für sie kann das eine Chance sein, das Trauerjahr abzuschliessen.

Ist das Trauerjahr nicht ein etwas veraltetes Konzept?

Dieses erste Jahr nach dem Tod eines geliebten Menschen ist sehr wichtig. Da kommen all die ersten Male: der erste Geburtstag ohne die Person, das erste Weihnachten. Viele Menschen brauchen dieses Jahr, um sich danach wieder freier zu fühlen.

Könnte man in dem Fall sagen, dass der Ewigkeitssonntag auch ein Grund zum Feiern ist?

Das ist es gerade: Wir ignorieren den Karfreitag, weil er nicht fröhlich ist, und feiern dann mit Saus und Braus den Ostersonntag. Ich meine das auch im übertragenen Sinn, denn jeder Mensch gelangt im Leben einmal an seinen persönlichen Karfreitag, und den müssen wir durchlaufen. Wenn wir mit unserer Trauer bewusst in diesen Ort der Dunkelheit gehen, den Schmerz zulassen, in dem Moment vielleicht beten – dann kommt Licht in diese Dunkelheit.

Ich habe den Eindruck, dass uns viele Trauerrituale abhandengekommen sind. Wie ­erleben Sie das?

Es hat auf jeden Fall ein Wandel stattgefunden. Früher hat man den Toten drei Tage zu Hause aufgebahrt, um Abschied zu nehmen. Auch die Erdbestattung hat einen grossen Symbolwert. Man liess den Sarg in dieses riesige Loch hinunter. Die Zahl der Erdbestattungen hat abgenommen, in den letzten Jahren hatte ich im Baselbiet nur eine einzige. Seit Corona wollen viele Leute keine Beisetzung auf dem Friedhof mehr, sondern verstreuen die Asche im eigenen Garten oder im Wald. Wir sind als Gesellschaft pragmatischer geworden.

Müssten auch manche Trauer­rituale pragmatischer werden?

Das ist sicher eine wichtige Komponente. Ich gebe Trauernden oft den Rat, am Geburtstag der Verstorbenen etwas Geld für eine junge Person anzulegen. Das kann später für einen Auslandsaufenthalt oder etwas anderes Schönes verwendet werden. Auch das ist eine Art Ritual, das in die Zukunft weist. Wir haben heute so viele Möglichkeiten, uns abzulenken. Die Welt, in der wir leben, erlaubt uns kaum noch, Trauer und Traurigkeit zuzulassen. Trauern ist auch eine körperliche Aufgabe. Es ist erschöpfend, und man muss in der Zeit sehr achtsam mit seinem Körper umgehen.

Leute sagen mir manchmal, dass sie gar nicht erst anfangen wollen zu weinen, weil sie befürchten, nicht mehr aufhören zu können. Aber das Gegenteil ist wahr: Auch mit dem kleinsten Schaufelbagger kann ich einen Berg abtragen. Fahre ich stattdessen jedes Mal den langen Weg darum herum, wird er nicht kleiner.

Ist der Ewigkeitssonntag eine Chance, den Menschen das Trauern zu erlauben?

Das könnte man so sagen. Unser Alltag ist oft so grob: Wir müssen Partner finden, eine Wohnung suchen, Steuern zahlen, das Auto waschen – wir haben gar keine Zeit, andere Dinge wahrzunehmen. Ich denke, dass wir mit dem Ewigkeitssonntag die Chance haben, den Menschen eine öffentliche Erlaubnis zu geben, um ihre Trauer zu spüren und auszuleben.

Wie feiern Sie den Ewigkeitssonntag in Ihrer Gemeinde?

Wir zünden für jeden Verstorbenen eine Kerze an und lesen ihre Namen vor. Die Kirche füllt sich nach und nach mit Licht. Das vermittelt augenfällig, dass das Leben in einer anderen Form weitergeht.

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