Verdrängt Secondhand als Big Business die Kleinen?
Sie heissen «Second Love», «Zircle», «Reawake», «pre-owned» oder schlicht «Vintage» – und versprechen den ganz grossen Boom. Die Rede ist von Secondhand-Mode, die über Onlinehändler an- und verkauft wird. Hinter diesen Namen stehen nicht etwa kleine «Brockis» aus dem Quartier, die den Weg ins Internet antreten, sondern mächtige Modekonzerne und Detailhändler wie Zalando, H&M, Jelmoli, Manor oder Otto’s.
Tatsächlich nimmt das Geschäft mit gebrauchten Kleidern so schnell zu wie kaum ein anderer Sektor in der Mode – und nicht erst seit dem Lockdown, als viele Menschen ihre Schränke ausmisteten. Bereits 2019 wuchs der sogenannte Resale-Markt um fast 50 Prozent, wohingegen der Umsatz im gesamten Detailhandel um 2 Prozent anstieg. Weltweit wurde 2019 billige Fast-Fashion-Mode im Wert von 36 Milliarden Dollar umgesetzt, gebrauchte Kleidungsstücke wurden bereits im Wert von 7 Milliarden Dollar verkauft. Studien zufolge werden wir in schon zehn Jahren 20 Prozent unserer Bekleidung aus zweiter Hand kaufen.
Secondhand konkurriert Billigmode
Treffen diese Prognosen zu, dürften sich in Zukunft getragene und billige Mode ernsthaft konkurrieren. Was also haben Zalando & Co. davon, sich auch in der Schweiz vermehrt im Secondhand-Markt zu engagieren? Und wie wirkt sich das auf die «Brockis» und Kleiderbörsen aus?
Reno Schmid von der Hiob Fachstelle Brockenstuben ist überzeugt, der zusätzliche Secondhand-Verkauf werde Konzernen, die auf Billigmode setzen, längerfristig eher schaden, «da sie damit ihr Hauptsortiment, die neuen Kleider, selber konkurrieren». Von dem Trend der Modekonzerne hin zu Secondhand würden die Hiob Brockenstuben jedenfalls nichts spüren, sagt Schmid. «Im Gegenteil, unsere Kundschaft bietet uns von Jahr zu Jahr immer mehr Kleider an. Das erlaubt uns, das Sortiment mit guter Qualität zu bestücken.»
Angeblich geht es nicht um Gewinn
Dass es nicht so sehr um Gewinne mit gebrauchten Waren geht, räumt Zalando selbst ein. Europas grösster Online-Modehandel setzt nach eigenen Aussagen auf Nachhaltigkeit, man wolle die Lebensdauer der Waren verlängern. Allein in den letzten zwanzig Jahren ist die Tragedauer eines Kleidungsstückes um knapp 40 Prozent gesunken. Dementsprechend wurden immer mehr Waren hergestellt, und so ist auch der Druck auf die Branche gewachsen, ökologischer zu wirtschaften.
Kritiker aber werfen den Grosskonzernen vor, Greenwashing zu betreiben: Sie wollen sich ein umweltfreundliches, verantwortungsvolles Image verleihen und so vor allem bei jungen Leuten, der Klimajugend, gut dastehen. In Wahrheit würden sie ein anderes Ziel verfolgen: Wer etwa Zalando ein Kleidungsstück zum Verkauf anbietet, kriegt dafür nämlich einen Gutschein, den er gegen neue und in der Regel günstige Kleidung eintauschen kann – natürlich bei Zalando selbst.
Oder doch ein Geschäftsmodell?
Was auf den ersten Blick nach Konkurrenz aussieht, erweist sich als geschicktes Geschäftsmodell. Denn auf diese Weise kurbelt der Handel mit Secondhand das Geschäft mit Fast-Fashion-Mode letztlich wieder an – was dem Anspruch auf Nachhaltigkeit allerdings diametral entgegengesetzt ist. Allein im Onlineshop von Zalando gibt es derzeit mehr als eine halbe Million Artikel zu kaufen, ob neu oder «pre-owned».
Dass ein solches Geschäftsmodell tatsächlich nachhaltig ist, bezweifelt auch Morena Napoletano vom Marketing der Heilsarmee, die schweizweit 20 Brockenstuben betreibt. Sie beobachtet ebenfalls, wie Secondhand zum Trend wird. «Gerade junge Leute aus den Städten kaufen vermehrt bei uns ein.» Eine Konkurrenz zu Zalando & Co sieht sie dennoch nicht.
Stunden verweilen in Brockis
Der Grund vermutet Napoletano in der Haltung ihrer Kundschaft. «Bei uns fliesst der gesamte Gewinn aus den Brockenstuben in die Stiftung und damit in Hilfsprojekte. Dieser soziale Gedanke ist für viele, die zu uns kommen, wichtig. Zudem vermitteln Brockis, anders als das Shoppen per Mausklick, eine spezielle Stimmung, man kann dort Stunden verweilen und immer etwas Neues entdecken.»
Selbst im Online-Sektor sieht man das Angebot der Grosskonzerne von Secondhand-Artikeln nicht als Gefahr. Dass solche Riesen im Geschäft mitmischen, ist nach Aussage von Sandra Diestelhorst-Tessaro der Schweizer Plattform Kleiderberg.ch letztlich sogar ein Vorteil. Dadurch würden mehr Menschen auf das Thema Secondhand aufmerksam und könnten «stilvoll gegen Verschwendung» vorgehen.
Die Rechnung scheint am Ende also einfach zu sein: Solange die Produktion auf einem derart hohen Niveau bleibt, wird es immer Unmengen von gebrauchten Waren geben und damit genug für Anbieter unterschiedlichster Ausrichtung und Grösse.
Klaus Petrus, reformiert.info
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