Vergeben heisst lieben – sagt der Totschläger
Der Film beginnt körperlich gewalttätig mit einer Prügelei, und so endet er. Doch dazwischen entfaltet sich durchaus etwas Konstruktives – in einer Geschichte, die trotz scheinbarer Unwahrscheinlichkeit auf einem realen Ereignis beruht und die trotz dunkler Bilder und trauriger Geschehnisse einen kräftigen Keim der Hoffnung mitgibt.
Es ist die Geschichte von Daniel (gespielt von Bartosz Bielena). Der 20-Jährige findet als Messdiener in einer polnischen Jugendstrafanstalt durch den Pfarrer Thomas zum Glauben – so stark, dass er Priester werden möchte. Aber als Straftäter würde er in keinem Priesterseminar aufgenommen, lässt Pfarrer Thomas ihn wissen.
Durch Zufall zum Priesteramt
Daniel wird aus der Haft entlassen. Er soll zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft in einer Sägerei bei einem kleinen Dorf in einem fernen Landesteil arbeiten. Doch durch zufällige begünstigende Ereignisse kann er als Priester verkleidet das Pfarramt übernehmen – denn der amtierende Priester muss just nach Daniels Ankunft aus gesundheitlichen Gründen eine Auszeit nehmen.
Wie leicht das offenbar funktioniert, kann einen zwar den Kopf schütteln lassen. Doch zumindest dank der Intensität des Spiels von Daniel-Darsteller Bartosz Bielena und der Entwicklung der Geschichte lässt es sich auch darüber hinweggehen. Und gemäss Regisseur Jan Komasa beruht das Drehbuch in dieser Sache tatsächlich auf einer wahren Geschichte, als sich ein 19-jähriger Pole drei Monate lang als Priester ausgeben konnte.
Rohe Emotionen in Nahaufnahme
Das Werk entwickelt sich ganz nah an der schillernden und schonungslosen Persönlichkeit des jungen Mannes – auch visuell prägen Nahaufnahmen den Film. Der Ex-Sträfling predigt ganz aus sich und seinen Erfahrungen, bringt seine eigene Glaubensweise zum Ausdruck, findet klare, verständliche Worte, geht Schwierigkeiten an und nicht aus dem Weg, raucht, trinkt, feiert mit den Leuten, hält seine Triebe nicht zurück und lässt seine Gefühle raus.
Die Menschen im Dorf sind zuerst überrascht oder gar vor den Kopf gestossen – aber im Verlauf der Geschichte immer offener für den frischen Geist. Nach und nach offenbaren sich Abgründe in der Gemeinschaft, Machtspiele und Abhängigkeiten zeigen sich. Die Gemeinde scheint traumatisiert durch einen schrecklichen Unfall im Dorf mit mehreren toten Jugendlichen.
Direkte Sprache von Herz zu Herz
In ihrer Trauer und ihrem Hass auf den angeblichen verstorbenen Täter und seine noch im Dorf lebende Ehefrau wirkt die Gemeinschaft einzementiert – gerade auch durch das Handeln des alten Pfarrers, der offenbar wenig zur wirklichen Verarbeitung tun wollte. Daniel hingegen geht die Dinge direkt an, auch wenn es schmerzt. Er verzichtet aufs Vertrösten aufs Jenseits. So erreicht er schliesslich auch oft direkt die Herzen der Menschen.
Begleitet wird das Ganze von der Frage, wann und wie denn der Schwindel auffliegt. Immer wieder scheint Daniel nah dran zu sein, und dann rettet er sich wieder. Seine gaunerhafte Gewieftheit hilft. In dieser Entwicklung bringt der Schaupspieler Bartosz Bielena eine unglaubliche Energie auf die Leinwand. Mit seinem hageren Gesicht und den grossen klarblauen Augen lotet er die Ambivalenz seiner Figur bis in alle Ecken aus. Bei aller negativer Energie, die zu Daniel dazugehört, hat er ein Herz aus Gold und ganz sicher mehr Talent zur Seelsorge als mancher gestandene Priester.
Was ist wichtig – Weihe oder Berufung?
Insgesamt scheint der Film des polnischen Regisseurs Jan Komasa in erster Linie eine Frage mit Ausrufezeichen an das klerikale System. Ist die priesterliche Weihe tatsächlich wichtiger als Berufung und Charisma – auch wenn sich jemand scheinbar mit grosser Schuld beladen hat? Was ist wirkliche Wahrheit, Liebe und Vergebung?
In einer Predigt gibt Daniel selbst Antworten. «Ich bin ein Mörder. Ich tötete in Gedanken. Ich tötete durch Unterlassung. Ich tötete durch Taten. Wir können gut Menschen aufgeben, mit dem Finger auf sie zeigen. Vergeben heisst nicht vergessen. Es heisst nicht, so zu tun, als wäre nichts passiert. Vergeben heisst lieben. Jemanden trotz seiner Schuld lieben. Egal, wessen er schuldig ist.»
Marius Schären, reformiert.info
Vergeben heisst lieben – sagt der Totschläger