Vergesst die Feste nicht!
Ich bin froh, dass ich diesen Beruf gewählt habe. Genauer: Der Beruf hat mich gewählt. Ich bin mir sicher, dass es der beste Weg ist, mit den unterschiedlichsten Menschen zusammenzukommen. Es gibt kein Thema, kein Gebiet des menschlichen Lebens und der Welt, das ich ausklammern muss.
Menschen haben mich ein kurzes oder längeres Stück auf dem Weg begleitet. Viele haben mir etwas geschenkt, das unbezahlbar ist, besonders heute: Vertrauen. Ein riesiges Privileg.
Meine Arbeit mit jungen Menschen hat mich wach gehalten. Bewahrt vor dogmatischer Erstarrung und lustloser Verkrustung. Dass mich manche heute noch besuchen und auf neue Gedanken bringen: wunderbar.
Familie und Freunde haben mich durch tiefe Krisen hindurch getragen. Menschen setzen sich bei Gott für mich ein und halten mich aus, wenn mein Glaube löchrig ist und ich keinen Grund mehr finde.
Zu den Dingen die ich bereue, mal abgesehen von meinen offensichtlichen Fehlern und Unzulänglichkeiten: Oft rede ich zu viel, statt zuzuhören. Manchmal schweige ich, wenn ich meine Stimme erheben müsste.
Und viel zu spät fange ich an, mir meine Freiheit zu nehmen. Dabei denke ich, ich hätte es ganz am Anfang meiner Laufbahn begriffen, als Seelsorger im Paraplegikerzentrum und im Gefängnis: Eine Querschnittsgelähmte oder ein Gefangener in seiner abgeschlossenen Zelle können tatsächlich nicht einfach aufstehen und hinausgehen.
Wann immer ich sage: Ich kann nicht, meine ich im Grunde: Ich traue mich nicht, ich halte mich selbst zurück, ich übernehme die Verantwortung nicht für mein Leben. Sachzwänge gibt es dann immer noch genug. Menschen, die uns anvertraut und auf uns angewiesen sind.
Erst mit zunehmendem Alter fange ich an zu realisieren, wie viele Mütter an ihre Grenzen und darüber hinaus kommen. Mit dem 24/7 Job für ihre Kinder da zu sein,plus berufliches Engagement und manchmal eine Partnerschaft, die mehr Energie verbraucht als gibt. Darauf hätte ich viel früher aufmerksam werden können.
Der Kirche wünsche ich, dass ihre Entscheidungsträger:innen bei allem nicht vergessen, dass sie nur eine Institution ist. Sie ist nicht deckungsgleich mit dem Glauben und den Menschen. Im besten Fall kann sie Räume zur Verfügung stellen. Im wörtlichen und im übertragenen Sinn.
Mir bereitet Sorge, wie viele meiner jungen Kolleginnen und Kollegen ausbrennen. Auch Ehrenamtliche und Freiwillige rennen Marathon um Marathon, die Lasten verteilen sich auf wenige. Ich wünsche den langzeitig oder vorübergehend aktiven Menschen in der Kirche: Vergesst nie, Feste zu feiern. Auch und gerade dann, wenn etwas nicht gelingen will. Wenn die Budgets schmelzen.
Ich hoffe, dass wir neue Wege finden, Gastfreundschaft zu leben, Begegnungen zu ermöglichen und uns selbst hineingeben, mit Löwenmut und dem Segen des Auferstandenen.
Martin Dürr ist Pfarrer und Leiter des Pfarramts für Industrie und Wirtschaft Basel-Stadt und Baselland. Er steht kurz vor seiner Pensionierung, das Pfarramt für Industrie und Wirtschaft wird danach aufgelöst.
Vergesst die Feste nicht!