Verhüllen oder nicht verhüllen? Für und wider die «Burka-Initiative»
Worüber stimmen wir ab?
Die Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot», auch «Burka-Inititative» genannt fordert, dass schweizweit niemand sein Gesicht in der Öffentlichkeit verhüllen darf. Also nicht auf Strassen, im öffentlichen Verkehr, Amtsstellen, Restaurants, Läden, Fussballstadien oder in der freien Natur. Ausgenommen sind Gotteshäuser und Sakralstätten. Das Initiativ-Komitee setzt sich aus SVP-Politikern, Mitgliedern der EDU und FDP und einigen Parteilosen zusammen. Sie hatten 2009 bereits die Minarett-Initiative zur Abstimmung gebracht.
Was gilt als «Verhüllung»?
Was genau als «Verhüllung des eigenen Gesichts» gilt, definiert die Initiative nicht. Im Vordergrund steht aber die religiöse Verschleierung mit einer Burka oder einem Niqab, und die Vermummung zur Begehung einer Straftat. Nicht dazu gehören Verhüllungen aufgrund der Gesundheit (Hygienemasken), der Sicherheit (Helm), des Wetters oder des einheimischen Brauchtums.
Warum lehnen Bundesrat und Parlament die Initiative ab?
Vollverschleierte Frauen seien in der Schweiz ein Randphänomen. Laut einer aktuellen Studie von Andreas Tunger-Zanetti ist die Zahl der vollverschleierten Musliminnen in der Schweiz rückläufig. Der Islamwissenschaftler schätzt, dass es derzeit hierzulande noch 20 bis 30 Frauen gebe, die den Niqab - meist freiwillig - tragen. Bundesrat und Parlament sind der Meinung, ein Verbot stärke die Position der Frauen nicht, sondern führe im schlimmsten Fall dazu, dass sie sich ganz aus dem öffentlichen Leben zurückziehen. Auch im Kampf gegen Terrorismus gebe es keinen Nutzen. Zudem können die Kantone bereits jetzt selbständig ein Verhüllungsverbot einführen.
Was will der indirekte Gegenvorschlag des Parlaments?
Der Bundesrat stellt fest, das Gesicht müsse sichtbar sein, um eine Person zweifelsfrei zu identifizieren. Mit dem Gegenvorschlag schliesst er die Lücke im Bundesrecht und legt fest: Personen in der Schweiz sind verpflichtet, ihr Gesicht gegenüber allen Behörden zu zeigen, wenn es um eine Identifizierung geht. Dies gilt zum Beispiel auf Amtsstellen oder im öffentlichen Verkehr. Wer sich weigert, zahlt eine Busse oder muss auf die Leistung verzichten.
Wer ist dafür, wer dagegen?
Die Haltung zur Volksinitiative für ein Verhüllungsverbot ist durch eine «scharfe Links-Rechts-Polarisierung» geprägt. Das schreibt das Forschungsinstitut GFS Bern, das im Auftrag der SRG eine Umfrage durchgeführt hat. Hätte die Schweiz Ende Januar 2021 abgestimmt, wäre die Initiative klar angenommen worden. 56 Prozent der Befragten sind bestimmt oder eher für ein Verhüllungsverbot, 40 dagegen. Vier Prozent waren noch unentschlossen
Eine prominente Politologin und ein Imam unterstützen das Verhüllungsverbot
Elham Manea, die jemenitisch-schweizerische Politologin, ist der Meinung, dass die Vollverschleierung ein Symbol der Unterdrückung sei, und nicht in eine freie Gesellschaft gehöre. Im Interview vom 24. Januar in der «Sonntagszeitung» meint sie: «Frauen in muslimischen Ländern tragen die Vollverschleierung oft, weil sie fälschlicherweise glauben, es handle sich um ein religiöses Gebot. Oder weil dies die einzige Möglichkeit ist, das Haus zu verlassen. Oft sind sie gezwungen, sie zu tragen. Soziale Kontrolle und patriarchalische Strukturen spielen hier eine grosse Rolle.»
Im Gegensatz zu den Argumenten der Feministinnen findet sie: wer glaubt, dass die Verschleierung zur Selbstbestimmung der Frauen gehöre, wisse nicht, was es bedeute, in einer Familie mit solchen Strukturen zu leben. Zudem verhindere die Initiative eine Diskussion über die wirklich wichtigen Fragen rund um den «verpolitisierten Islam». «Die Schweiz ist keine Insel. An gewissen Orten haben wir bereits Probleme mit dem politischen Islam, vor allem in der Romandie», so Manea. Islamismus sei genauso zu bekämpfen wie Rechtsextremismus.
Auch Mustafa Memeti, muslimischer Theologe und Imam vom Haus der Religionen in Bern, spricht sich für ein Verbot aus linker und feministischer Sicht aus. «Niemand kann die Burka theologisch begründen», sagt er im Interview mit dem «Bund» vom 2. Februar 2021. Auch in den Texten des Koran gebe es keine bestimmten Vorgaben, wie man sich kleiden müsse. «Wir können nicht leugnen, dass wir im Islam Probleme mit der Gleichstellung der Geschlechter haben», so Memeti. Bei der Initiative gehe es auch nicht darum, was man grundsätzlich von der Burka halte. «Ich sehe hier im Westen keine Perspektive für die Frauen, wenn sie eine Burka tragen. Sie verhindert die Emanzipation. Die Initiative ist so etwas wie ein Rettungspaket für sie.»
Der EKS-Rat lehnt die Initiative ab
Der Rat der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz EKS begründet sein Nein mit Religionsfreiheit und damit, dass Menschen und religiöse Gemeinschaften ein Recht darauf hätten, ihre Lebensform frei zu wählen. Die EKS-Präsidentin Rita Famos meint im Gespräch mit «reformiert.»: Ein Verbot befreie die Frauen nicht. «Bei Niqab und Burka haben wir es mit zwei Seiten einer Medaille zu tun. Diejenigen muslimischen Frauen, die in der Schweiz leben und sich zu ihrer Kleidung äussern, sagen, dass Niqab oder Burka ihre religiöse Ausdrucksform der Gottesverehrung sind. Es ist überheblich und paternalistisch, ihnen zu sagen, dass das nicht stimmt.»
Natürlich gehöre «Gesicht zeigen» zu einer offenen Gesellschaft, meint Famos. Trotzdem sei ein Verhüllungsverbot nicht der geeignete Weg. «Wir sollten unsere fundamentalen liberalen Errungenschaften nicht verteidigen, indem wir andere, wie zum Beispiel die verfassungsmässig garantierten Freiheiten, ohne Not einfach über Bord werfen.» Sie setzt auf Dialog, nicht auf Verbote.
Das passiert, wenn die Initiative angenommen wird
Bei einer Annahme wird das Verhüllungsverbot in der schweizerischen Bundesverfassung festgehalten. Die Kantone werden Gesetze für die Umsetzung erlassen. Wenn das Verhüllungsverbot abgelehnt wird, tritt automatisch der Gegenvorschlag in Kraft, falls kein Referendum ergriffen wird.
Katharina Kilchenmann, reformiert.info
Verhüllen oder nicht verhüllen? Für und wider die «Burka-Initiative»