Vom Siechenhaus zur Spitex
In der Schweiz wird gemäss dem Bundesamt für Statistik jährlich unbezahlte Care-Arbeit im Umfang von mindestens 400 Milliarden Franken geleistet. Das entspricht rund 9 Milliarden Stunden und ist mehr, als für bezahlte Arbeit aufgewendet wird. Sorgearbeit umfasst Haus-, Familien- und Freiwilligenarbeit. Die grösste Last tragen dabei die Frauen, im Jahr 2020 etwa leisteten sie 50 Prozent mehr Haus- und Familienarbeit als die Männer. Auch die bezahlte Sorgearbeit, etwa in der Pflege, wird mehrheitlich von Frauen erbracht.
Premiere am Frauenstreiktag
Am 14. Juni, am Frauenstreiktag, lud die «Gruppe 14. Juni» unter dem Titel «Wer kümmert sich ums Baselbiet? Von fleissigen Hausmännern und fachkundigen Hebammen» zum neuen Rundgang zur Care-Arbeit, den sie zusammen mit dem Verein Frauenstadtrundgang Basel entwickelt hatte. Care-Arbeit gehe uns alle an, bleibe aber oft unsichtbar und wenig wertgeschätzt, schreibt die «Gruppe 14. Juni». Der Spaziergang beschäftigt sich mit der Geschichte der Sorgearbeit im Baselbiet bis in die Gegenwart.
Tamara Suter und Maja Adler, die durch den Rundgang in Liestal führten, erzählen Geschichten und Anekdoten aus Institutionen und Organisationen, die im Baselbiet Care-Arbeit leisten, darunter die Kirchen oder die Evangelische Frauenhilfe. Sie verbinden die 90-minütige Tour d’Horizon mit Einzelschicksalen und historischen Personen. So erfährt das Publikum von der Bettmagd Elisabeth Müller aus Lauwil, wie sie Ende des 18. Jahrhunderts die Arbeit im Siechenhaus erlebte. Zwei Männer, die in den 1970er-Jahren den Part des Hausmannes übernahmen, schildern, mit welchen Vorurteilen sie konfrontiert waren. Die Tochter einer sizilianischen Familie erzählt, wie schwierig es für ihre Eltern als werktätige Saisonniers war, das Familienleben zu organisieren, da es keinerlei staatliche Strukturen zur Unterstützung gab.
Kirchen leisten seit jeher Sorgearbeit
Hilfe boten Organisationen wie die Missione Cattolica Italiana oder der Frauenverein. 1842 in Liestal gegründet, kümmerte er sich vor allem um alleinerziehende Mütter. Später entstanden Hauspflegevereine, die Vorläufer der heutigen Spitex. Der Rundgang endete vor der Stadtkirche Liestal. Die Kirchen leisten bis heute mit ihren unzähligen Freiwilligen und Angeboten vom Mittagstisch bis zur Palliative Care wichtige Sorgearbeit.
«Mit dem Rundgang zeigen wir auf, warum Fürsorge auch heute unverzichtbar ist – unentbehrlich für das Funktionieren der Gesellschaft und der Wirtschaft», sagt Judith Borter. Sie ist Leiterin der Fachstelle für Genderfragen und Erwachsenenbildung der Reformierten Kirche Baselland. Die Fachstelle ist Teil der «Gruppe 14. Juni», deren Forderungen lauten: Es braucht mehr Raum für Care- Arbeit in allen Lebensphasen für alle, es braucht finanzierbare Kinderbetreuungsangebote, bessere Arbeitsbedingungen und Löhne, etwa in der Pflege, sowie eine gerechtere Aufteilung zwischen den Geschlechtern.
Karin Müller
Die Rundgänge sind öffentlich, können aber auch privat gebucht werden. Infos und Daten: frauenstadtrundgang-basel, gruppe14juni
Vom Siechenhaus zur Spitex