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«Von den Wandlern des Spiels»

von Christian Kaiser, reformiert.info
min
02.11.2022
Der Bildhauer Nicholas Micros ist ein visueller Fragensteller. Mitten in Zürich hat er drei Werke platziert, die das Weltgeschehen gerade brennend aktuell erscheinen lässt. Ein Spaziergang mit dem Künstler.

Wer durch den Park beim Kirchgemeindehaus Enge schlendert, wundert sich. Mitten in der Wiese stehen zwei Steinhäuser, hundehüttengross, etwas schäbig wirkend. Ab und an, wenn die Naturwiese hochgewachsen ist, legt sie der Rasenmäher wieder für den Blick frei. Während das eine Haus intakt steht, ist das andere nur ein zerbröckelndes Etwas. «Beide Häuser haben einen identischen Grundriss und sind aus demselben Material», sagt der Erschaffer des Werks, Nicholas Micros. Der griechischstämmige Amerikaner lebt seit 2001 als Bildhauer in Ottenbach.

Zufall oder ordnende Macht?
Sein Doppelkunstwerk heisst «House Preserved – House in Ruins» (Erhaltenes Haus – Haus in Ruinen). Als er es 2021 und prominent vor die schicke Villenfassade des Kirchgemeindehauses in Szene gesetzt hat, sprach noch niemand von einem drohenden Krieg in Europa. Nun erinnert der Anblick an die Kriegsbilder aus der Ukraine von zerstörten Häusern, die neben bewahrten stehen. Und die Fragen, die das Werk aufwirft, scheinen erschreckend aktuell. «Die Verrücktheit des Krieges ist doch immer Thema», sagt Micros.

Und mit den kriegerischen Auseinandersetzungen auch die Frage nach dem Warum: Was macht den Unterschied, dass das eine Haus steht, das andere nur noch Schutt ist, wieso bricht die eine Familie auseinander, die andere bleibt heil, warum wird das eine Dorf verschont und das andere völlig ausradiert? Es sind die alten Fragen, die die Menschen seit jeher beschäftigen, die Micros aufwirft: Gibt es so etwas wie Zufall oder Schicksal – oder steht dahinter eine ordnende, beschützende Macht?

Wer kontrolliert und entscheidet?
Die beiden Häuschen, die Micros aus dem Bauschutt eines abgebrochenen Bauernhauses zusammengemauert hat kontrastieren mit dem herrschaftlichen Haus im Hintergrund und verleihen der Szenerie etwas Traumhaftes. Man wähnt sich in einer Parallelwelt, die sich weiter oben fortsetzt. Oberhalb des Aufgangs zur Kirche Enge stehen zwei Schiedsrichter. Wer die Kirche besucht, muss zwischen ihnen hindurch. 

Dabei beschleicht einen ein seltsames Gefühl. Dicke Geldsäcke hängen an ihrer Seite neben den prallen Bäuchen. Die Backen sind zum Pfiff gebläht. Matchentscheidende Macht, die ein Kirchenportal flankiert? Mit finsteren Mienen vom hohen Sockel blickend markieren die beiden unheimlichen Gesellen aufdringliche Präsenz und gemahnen an einen militärischen Kontrollpunkt. Hier geht es um Gerechtigkeit, Anmassung und Gier – und das alles fast in Blickweite zum FIFA-Hauptsitz, wie Nicholas Micros erst nach der Installation festgestellt hat.

Fairplay oder Regeln zu den eigenen Gunsten?
Den Sportler und den Priester, Nicholas Micros tägt sie beide in sich. Der Vater war Sportlehrer, und so gehörte der Gang aufs Footballfield genauso zu den Sonntagen in den USA wie der Besuch der orthodoxen Kirche. Und die Fragen waren an beiden Orten ähnlich: Wer bestimmt die Spielregeln? Wer entscheidet über Sieg oder Niederlage? Warum hat der eine Erfolg, der andere nicht? Was steckt dahinter? Zufall, Schicksal oder ein Geistwesen, das führt? «Eines ist sicher: Der, der pfeift, bestimmt», sagt Micros. 

Die hellere der beiden düsteren Figuren hält die Hand offen, und man weiss nicht recht, auf welcher Seite sie steht und was sie verlangt, damit sie einem günstig gesinnt ist. Man muss an diesem Kerl vorbei, traut ihm aber nicht über den Weg. Und an diesem erinnert der Künstler an den zornigen Jesus, der die Geldwechsler kurzerhand aus dem Tempel schmeisst: «Die Gewinnsucht hat in einem Haus des Gebets nichts zu suchen.» Die Frage, die für Micros dahintersteckt, ist eine durchaus kapitalismuskritische: «Wollen wir wirklich Fairplay oder wollen wir uns lieber unseren eigenen Vorteil erkaufen?» 

Vermögen Kunst und Religion das Bewusstsein zu ändern?
Micros Schiedsrichter erinnern in ihrer Bemalung auch an ein Glücksspielkartenmotiv: Haben diejenigen, die für Geld über das Schicksal anderer pfeifen dürfen, wirklich den Joker gezogen? Das Paradoxe: Die beiden Schiris sind die «Changer», wie das Werk heisst, sie sind die Wandler des Spiels. Sieg und Niederlage liegen in ihrer Hand. Für Micros ist jetzt ein Sprung weg von diesem System nötig: «Wir brauchen Symbiose statt Wettbewerb, wir können nur entweder kooperieren oder aussterben.»

Eine Zeit lang war Micros «auf gutem Weg zum Priester», entschied sich aber dann doch für die Kunst. Es ist ihre Mehrdeutigkeit, die ihn fasziniert; sie ist für ihn ein immer wieder Fragen stellendes Bewusstseinserweiterungssystem. Eines, das durchaus im kirchlichen Kontext zum Einsatz kommen kann, darf und soll.

Christian Kaiser, reformiert.info

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