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Pazifismus

Warum Friede noch immer möglich ist

von Christian Kaiser/reformiert.info
min
28.05.2024
Der Bestseller-Autor und Kirchenkritiker Franz Alt (85) ist ein Pionier des europäischen Pazifismus. Im Interview erklärt er, warum die Bergpredigt aktueller ist denn je – allen heutigen Kriegen zum Trotz.

Herr Alt, viele Ihrer Bücher sind zu Bestsellern geworden. Ihr meistverkauftes Buch war «Frieden ist möglich – die Politik der Bergpredigt» von 1983. Seither hat es viele Friedensbrüche gegeben. Ist das Buch vor dem Hintergrund der Kriege in der Ukraine und Gaza bloss Utopie?

Nein. Es hat nicht nur die Friedensbewegung beeinflusst, sondern auch Michael Gorbatschow. Einer seiner sowjetischen Militärberater sagte mir gegenüber: «Wir werden genau das tun, was Jesus in der Bergpredigt vorschlägt; Feindesliebe praktizieren.» Feindesliebe heisst ja nicht ‹lass dir alles bieten›, sondern richtig verstanden ‹sei klüger als dein Feind›.

Sie sagen, Ihr Bergpredigt-Buch habe letztlich den Fall des Eisernen Vorhangs bewirkt?

Nein, so nicht. Gorbis mutige und intelligente Politik bewirkte den Fall des Eisernen Vorhangs. Er verstand es, Vertrauen zum US-Präsidenten Reagan aufzubauen, der alles andere als ein Pazifist war. Michail Gorbatschov und ich haben uns oft getroffen, wir haben ja auch ein Buch zusammengeschrieben: «Nie wieder Krieg – Kommt endlich zur Vernunft», dieses Buch ist sein Vermächtnis.

2019 vor seinem Tod sind wir uns noch einmal begegnet, und ich habe ihn gefragt, ob es für ihn so eine Art Überlebensprogramm für die Menschheit gebe, und er antwortete mir: «Ja, die Bergpredigt Jesu». Wohlverstanden: Das sagte mir der ehemalige Kommunistenführer, nicht irgendein Friedensaktivist. Und zu diesem Verständnis der Bergpredigt des wunderbaren jungen Mannes aus Nazareth durfte ich Gorbatschow etwas helfen.

Solange Kriege vorbereitet werden, werden sie auch geführt.

Ende 2022 haben Sie Ihr Buch von 1983 unter dem Titel «Frieden ist noch immer möglich – Die Kraft der Bergpredigt» neu aufgelegt. Wie ist Frieden immer noch möglich, was ermutigt Sie trotz Rückschlägen, weiterhin an Ihrem Friedensprojekt festzuhalten?

Seit mehr als 2000 Jahren gilt der altrömische Grundsatz «Wer Frieden will, muss den Krieg vorbereiten». Ergebnis: 2000 Jahre immer wieder Kriege, Massenelend und Millionen Tote. Solange Kriege vorbereitet werden, werden sie auch geführt. Wie wäre es, wenn wir künftig nach dem Motto leben würden: «Wer Frieden will, muss den Frieden vorbereiten»? Und wie ginge das konkret und praktisch? Unser Bestreben muss sein, in Zukunft den Frieden zu gewinnen und nicht mehr den Krieg.

Sie sind ja seit den Siebzigerjahren eine Art Aushängeschild der Friedensbewegung. Was hat der Ukrainekrieg bei Ihnen ausgelöst, vertreten Sie immer noch denselben Pazifismus?

Erst einmal: Das Ur-Ethos aller Religionen und Weisheitslehren heisst: «Du sollst nicht töten». Dieses Ethos beinhaltet auch die Forderung: «Du sollst nicht töten lassen, wenn Du die Mittel hast, das Töten zu verhindern.» Eine neue politische Situation erfordert neues Denken und Handeln. So verstehe ich die Bergpredigt Jesu. Jesus war ein großer Friedensfreund, aber kein Dogmatiker. Jesus war Realist.

Wenn mein Nachbar überfallen wird und um Hilfe ruft, kann ich als Christ und Pazifist nicht einfach die Ohren zuhalten.

Was heisst das konkret? Wie soll man sich gegenüber der Aggression und «dem Bösen» verhalten? Verlangt die Bergpredigt für Sie eher nach Gesinnungsethik, also «töten auf keinen Fall» oder eher nach Verantwortungsethik, also «töten, um Schlimmeres zu verhindern»?

Den Ukraine-Krieg habe ich im 21. Jahrhundert nicht mehr für möglich gehalten wie viele andere Pazifisten auch. Er hat mich gelehrt, jetzt zwischen Real-Pazifismus und Fundamental-Pazifismus zu unterscheiden – das heißt konkret, dass ich für die Lieferung von Abwehr-Waffen an die Ukraine bin. Die Ukraine hat das Recht, sich zu verteidigen. Wenn mein Nachbar überfallen wird und um Hilfe ruft, kann ich als Christ und Pazifist nicht einfach die Ohren zuhalten. Das wäre unterlassene Hilfeleistung. Die deutschen Abwehr-Waffen haben vielen ukrainische Menschen das Leben gerettet.

Ein zweiter Gorbatschow ist leider grad nicht in Sicht. Putin denkt eher in der alten Kriegslogik und beschert uns ein neues Wettrüsten ...

Er sieht sich in seinem imperialistischen Traum in der Nachfolge der Zaren und in der Nachfolge der alten Sowjetunion. Putin will weitere Gebiete in der Ukraine, aber auch anderswo erobern. Das Schlimmste dabei ist: Er wird vor allem von christlichen Kirchenführern wie vom orthodoxen Patriarchen Kyrill dabei unterstützt, der vom «Heiligen Krieg» faselt. Eine schlimmere Gotteslästerung wie das Wort «Heiliger Krieg» gibt es nicht. Und so kann Putin mit kirchlicher Unterstützung sogar mit dem Atomkrieg drohen. Ein Kirchenfürst als Messdiener Putins, das ist die geistige Katastrophe hinter der Katastrophe.

Was können wir, jede und jeder Einzelne, zum Frieden beitragen?

Frieden in uns ist die Voraussetzung für Frieden um uns. Die Kirchen sollten immer wieder darauf hinweisen, dass ein wirklicher, nachhaltiger und ehrenhafter Frieden Gerechtigkeit und Freiheit voraussetzt. Mein Freund, der Dalai Lama, sagt es so: «Aus spiritueller Sicht ist es wichtig, mit einem guten Herzen zu denken und zu handeln. Aus konventioneller, weltlicher Sicht geht es um Gerechtigkeit und Wahrheit.»

Und die Kirchen? Was sollte ihre Botschaft sein?

Sie sollten an das erinnern, was vor 2000 Jahren geschah: Ein junger Mann aus Nazareth trat mit einer bis dahin ungehörten Botschaft als Wanderprediger vor die Öffentlichkeit. Und das in Zeiten von Krieg, Kolonialismus, Ausbeutung, Frauen- und Kinderverachtung. Er prophezeite, er mache alles neu. Im Kern sagte er: Frieden ist möglich, Liebe ist möglich, Gerechtigkeit ist möglich, die Bewahrung der Schöpfung ist möglich.

 

Buchtipp: Franz Alt: Frieden ist noch immer möglich – Die Kraft der Bergpredigt. Herder 2022, 160 Seiten

 

Franz Alt, 85

Der vielfach ausgezeichnete Fernseh- und Print-Journalist Franz Alt hat spirituelle Bücher in Millionenauflage veröffentlicht, u.a. mit dem Dalai Lama, mit Michail Gorbatchov und über die Lehren C. G. Jungs. Der kirchenkritische Katholik bezeichnet seine Konfession gern als «jesuanisch». Er hatte vier Semester katholische Theologie studiert, als er seine Frau Bigi kennenlernte: «Sie hat das Zölibat einfach weggelächelt», sagt Alt.

Rund um seinen 85. Geburtstag hat er zwei Bücher veröffentlicht, welche sich mit der Figur der Maria Magdalena beschäftigen und ein neues Verständnis des Christentums aus der Sicht der «Gefährtin Jesu» fordern. Schon vor 30 Jahren setzte er sich als einer der ersten vehement für die Energiewende ein und hat eine «solare Weltrevolution» gefordert.

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