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Was ist reformatorischer Geist?

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02.03.2017
Die Podiumsdiskussion an der Veranstaltung «Dialog im Zwingli» setzte sich mit der Frage auseinander, wie der reformatorische Geist heute zur Erneuerung von Kirche, Staat und Gesellschaft beiträgt. Es stellte sich heraus, dass der reformatorische Geist vor allem eines ist: Nicht gesellschaftskonform.


«Ich glaube, wir würden uns wundern, wie unabhängig der reformatorische Geist ist und wie wenig er nach Trends fragt», sagte Kirchenratspräsident Frieder Tramer an der Podiumsdiskussion an der Veranstaltung «Dialog im Zwingli» zum Thema «500 Jahre Reformation – Erneuerung in Kirche und Gesellschaft – damals und heute».

Das Podium drehte sich ganz um die Fragen: Was ist der reformatorische Geist? Wie kann man ihn entfachen? Was kann er bewirken?  Braucht es Unzufriedenheit mit der bestehenden Ordnung, damit der reformatorische Geist aufkommen kann?
Die Podiumsteilnehmerinnen und Teilnehmer diskutieren engagiert. Waren sich streckenweise einig und kreuzten auch verbal die Klinge. Moderiert von Bettina Hoffmann diskutierten Kirchenratspräsident Frieder Tramer, die Reformationsbotschafterin Pfarrerin Catherine McMillan, der Theologe und Schaffhauser Reformationshistoriker Erich Bryner, die Theologiestudentin Michèle Whieler und Stadtrat Raphael Rohner.

Zurück zu den Quellen
Bei der Frage, was der reformatorische Geist denn nun eigentlich sei, kamen zwei Dinge zum Ausdruck: «Wir müssen zurück zu den biblischen Quellen und von da aus den Glauben ganz neu aufbauen», sagte Peter Bryner und stiess damit auf allseitige Zustimmung. Der reformatorische Geist sei eine Rückbesinnung auf das Wahrhaftige, Grundsätzliche, waren sich die Diskutierenden einig.  
Michèle Whieler schlug den Bogen zur heutigen Gesellschaft: «Wenn der reformatorische Geist bedeutet, sich auf das Wesentliche zu beschränken und genau hinzuschauen, ob etwas ist, wie es zu sein scheint, hat er es schwer in der heutigen Gesellschaft. Wir leben in einer ignoranten Ablenkungsgesellschaft, die sich von Likes zu Likes klickt und sich damit begnügt anstatt wirklich miteinander zu sprechen.»
Frieder Tramer spitzte das zu: «Der reformatorische Geist ist die Entschlossenheit, sich auf den Glauben zu konzentrieren und ihn von der Bibel her zu verstehen. Das ist ein äusserst gegenläufiger gesellschaftlicher Trend und kein Programm, mit dem wir gross landen können.»
Auch Catherine McMillan verwies auf unsere «Ablenkungsgesellschaft». «Wir sind verblendet durch Materialismus», und sie betonte, dass Reformation Anstrengung bedeutet. «Die Reformatoren waren bereit, sich anzustrengen. Heute ist vieles zu seicht und zu gemütlich geworden.»

Mut statt Unmut
«Bräuchten wir dann eine neue Art von Revolution wie vor 500 Jahren?», warf Moderatorin Bettina Hoffmann an dieser Stelle ein. Peter Bryner verneinte. «Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Reformatoren in einer Mittelstellung gewesen sind. Es gab eben auch den radikalen reformatorischen Geist. Seine Schattenseite war eine zu starke Radikalität. Die Reformatoren waren auf der Suche nach Konsens.»
Wie dies heute aussehen könnte, beschrieb Raphael Rohner: «Der reformatorische Geist ist vorhanden, sonst würden wir uns heute nicht darüber unterhalten». In einer Gesellschaft, die eine oberflächliche Kommunikation pflege, brauche es Mut, Inhalte einbringen zu wollen, zu reflektieren und sich kritisch einzubringen. Die heutige Zeit verlange das vertiefte Austragen von unterschiedlichen Meinungen, um schliesslich einen pragmatischen Kompromiss zu finden,  «Unsere Demokratie braucht das, es ist das Erfolgsmodell der Schweiz in den letzten 100 Jahren».
Das führte zur Frage, was in den Kirchen das Entfalten des reformatorischen Geistes verhindere.
Frieder Tramer verwies auf das Spannungsfeld zwischen Kirche und Gesellschaft. «Wir haben Mühe, spritzig zu sein, weil wir in einer Gesellschaft leben, die uns zu spüren gibt, dass wir nicht so wichtig sind». Das auszuhalten benötige schon viel vom Reformatorischen Geist. Was die Kirche unternehme sei engagiert, lebendig, vielfarbig und innovativ. «Aber das gesellschaftliche Umfeld ist nicht so, dass es sagt, toll, die machen was». Diese Spannung auszuhalten sei herausfordernd.
Michèle Wiehler sah Probleme aufgrund von Bildungslücken. «Das Befassen mit dem Reformatorischen Geist ist jenen vorbehalten, die sich damit auskennen. Ich habe den Verdacht, dass Begriffe wie Rechtfertigung und Gnade in die heutige Sprache übersetzt werden sollten, sodass alle es verstehen können.» Raphael Rohner empfahl der Kirche schliesslich mehr Selbstbewusstsein. «Muss man es der Gesellschaft überlassen, ob man gefragt ist? Nein, man muss sich mit gesundem Selbstbewusstsein einbringen. Wir haben die Grundlagen, um uns einzubringen, also bringen wir uns ein.»

Freiheit des Denkens
Zum Schluss der Gesprächsrunde äusserten alle Podiumsteilnehmerinnen und Teilnehmer Wünsche, wo sich der reformatorische Geist als Nächstes zeigen solle. Peter Bryner wünschte sich «eine lebendige Kirche». Catherine McMillan den Mut «der Fremdenfeindlichkeit und dem Populismus entschlossen entgegenzutreten». Raphael Rohner ermutigte, sich zur Freiheit des Denkens zu bekennen und «zum Recht des Widerspruchs in der Demokratie». Michèle Wiehler wünschte sich «dass wir auch in Zukunft den Dialog suchen und finden, egal mit welchen Menschen». Und Frieder Tramers wünschte pragmatisch: «Neugierde im Blick auf den Glauben, sodass sich 50 Menschen für den Erwachsenentheologiekurs anmelden.»


Adriana Schneider, 24.2.2017

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