Weihnachten weltweit
Selbst im kommunistischen China wird Weihnachten immer beliebter. Die Städter feiern es als ein grosses Fest des Westens, erklärt Sam Lo. «Denn die westliche Kultur ist in.» Lo ist Pfarrer. Der ehemalige Mitarbeiter von Mission 21 lebt heute in Hongkong. Nichtchristen begehen diesen Tag wie das chinesische Neujahrsfest. Sie kaufen Geschenke für Verwandte und Freunde. «Man trifft sich und isst gemeinsam.» Die chinesischen Christen jedoch besuchen den Gottesdienst und laden dazu Freunde und Nachbarn ein. Vor den Kirchen bilden sich in der Weihnachtszeit lange Schlangen.
Weihnachten habe für Chinesen auch eine tiefere Bedeutung. «Auf Chinesisch heisst sie ‹Friedensnacht›. Diesen Frieden brauchen wir doch alle», sagt Sam Lo. Im Gegensatz zu Weihnachten fänden viele Chinesen keinen einfachen Zugang zu Ostern, das sie mit Tod und Blut assoziierten. Das sei für sie schwierig. «Doch wenn wir sagen, Gott habe seinen Sohn wie ein Geschenk gegeben, so könnten dies die Chinesen als freudige Botschaft begreifen.»
Koran: Geburt Jesus unter der Palme
Schwierigkeiten mit dem Tod Jesu hat auch der Islam, erklärt Samuel Behloul, Fachleiter für Christentum beim Zürcher Institut für interreligiösen Dialog. Gemäss Koran ist Jesus ein Prophet, der von der Allmacht Gottes berichtet. Den Kreuzestod bestreitet der Islam. «Er passt nicht in das islamische Prophetieverständnis, wonach Gott seine Propheten beschützt.»
Weniger Probleme haben Muslime mit Weihnachten. Die Geburtsgeschichte Jesu findet sich auch im Koran. Statt in der Krippe in Bethlehem wird Jesus von der Jungfrau Maria in der Wüste geboren. Bei der Niederkunft geschehen die ersten Wunder: Wasser schiesst empor und von der Palme fallen frische, saftige Datteln. Als Maria ins Dorf zurückkehrt, wollen die Bewohner die unverheiratete Frau steinigen. Doch der Säugling setzt sich für seine Mutter ein und spricht zur staunenden Menge.
Für die meisten Muslime sei das Weihnachtsfest kein Problem, stellt Behloul fest. Über die Botschaft von der Geburt des Gottessohns mache man sich keine Gedanken. Man schmücke das Haus, beschenke die Kinder und feiere Weihnachten als kulturelles Fest. Aus Rücksicht auf nicht christliche Schüler verbannen Lehrerschaft und Schulbehörden die Weihnachtslieder aus der Schule. Für Samuel Behloul ist dies Ausdruck einer übertriebenen politischen Korrektheit. Das wollten auch die meisten Muslime nicht.
Schon vor zehn Jahren haben verschiedene muslimische Verbände erklärt, «christliche, insbesondere weih-
nachtliche Traditionen aus den Schulzimmern zu verbannen, ist unangemessen». Natürlich sollten Schüler und Schülerinnen nicht gezwungen werden, religiöse Handlungen und Bekenntnisse zu vollziehen. Für ihre Kinder sei es jedoch wichtig, dass sie das kulturelle Erbe in der Schweiz kennenlernen, sodass sie später mitdiskutieren können.
Die Urchristen kannten kein Weihnachtsfest
Auch wenn Weihnachten heute das bekannteste christliche Fest ist, war dies in der Kirchengeschichte lange nicht der Fall. Viele der Bräuche und Traditionen haben nichts mit dem Leben Jesu und den Evangelien zu tun. Im Gegenteil: Das Christentum breitete sich über Europa und die neue Welt aus und übernahm die Symbole der heidnischen Kulturen, um die christliche Botschaft zu übersetzen.
Drei Jahrhunderte lang gehört Weihnachten nicht in den christlichen Festkalender. Im Fokus stehen das Kreuz und die Auferstehung und damit die Erlösung der Menschheit. In der Mitte des 4. Jahrhunderts datiert Papst Julius I. den Geburtstag Jesu auf den 25. Dezember. Historiker vermuten, dass für dieses Datum der Festtag des römischen «Unbesiegbaren Sonnengottes» ausschlaggebend war. Der christliche Gottessohn, «die Sonne der Gerechtigkeit» (Malechi, Kapitel 3, Vers 20), tritt das Erbe des römischen Sonnengottes an.
Durch den Kontakt zu anderen Kulturen übernimmt die Volksfrömmigkeit ständig neue Weihnachtsbräuche. Zwischen dem 9. und 16. Jahrhundert entstehen die ersten Weihnachtslieder. Weihnachtskrippen zeigen den Leuten, die nicht lesen können, die Ereignisse um die Niederkunft des Messias. 1223 stellt Franz von Assisi in Greccio die Weihnachtsgeschichte mit lebenden Tieren und Menschen nach.
Feiern wie der Deutsche Kaiser
Mit dem Erstarken des Bürgertums verändert sich auch Weihnachten: Das Fest erhält romantisch-pietistische Züge. Heiligabend wird zur Bescherung im trauten Familienkreis. Und das «Christkind», mit dem Martin Luther den Heiligen Niklaus ersetzt, bringt den evangelischen Kindern die Geschenke.
Bis ins 19. Jahrhundert stellen vor allem Adelige und die Oberschicht einen Weihnachtsbaum auf. Das ändert sich mit der Gründung des Deutschen Reiches. Wie ihr Kaiser stellen nun auch seine Bürger den Weihnachtsbaum in die Stube. Äpfel, Nüsse und Gebäck zieren die Zweige. Der erste elektrische Weihnachtsbaum wurde 1912 in New York aufgestellt. Seitdem glitzern unzählige Lichterketten auf öffentlichen Plätzen und in den Vorgärten.
Süsser die Kassen nie klingen
«Stille Nacht», scheppert es aus den Lautsprechern der Kaufhäuser: Samichläuse stehen an jeder Ecke. Und Coop bot einen Adventskalender aus 24 Bierdosen. Seit dem Zweiten Weltkrieg und dem Wirtschaftswunder garantiert die Adventszeit klingende Kassen. Das Geburtsfest, das in einem ärmlichen Stall begann, verspricht ein enormes Geschäft. Im Durchschnitt gaben im letzten Jahr jede und jeder in der Schweiz 275 Franken für Geschenke aus. Hinzu kommen die Kosten für den Festtagsschmaus.
Für viele Christen kompromittiert der jährliche Kaufrummel das Geburtsfest Christi. Die Kirchen müssten da aussteigen und die vier Wochen des Advents als Zeit der Besinnung auf das kommende Reich des Friedens und der Gerechtigkeit begehen, forderte etwa Pfarrer Christoph Möhl, der vor Kurzem verstarb. Statt mit Veranstaltungen in der Vorweihnachtszeit mitzuhalten, sollte sich die Kirche auf die Tage nach Heiligabend konzentrieren. Dann, wenn der Geschäftsrummel vorbei ist. Möhl plädierte dafür, dass man die christlichen Symbole wieder stärker in den Vordergrund rückt: etwa den Adventskranz, den der Pastor Heinrich Wichern 1839 erstmals aufhängte, und den Herrnhuter Stern. «Den abgewirtschafteten Christbaum könnte man dann allmählich ausmustern und den Warenhäusern überlassen.»
Kirchengeschichtlich steht dieses Anliegen in der evangelischen Tradition. Die reformierten Kirchen lehnten alle nicht biblischen Feiern ab. John Knox verbot 1560 in Schottland das Weihnachtsfest. Bis ins 20. Jahrhundert hielten sich die schottischen Presbyterianer daran.
Die Kirchen müssten die Chance nutzen
Für Samuel Behloul ist es verständlich, dass Weihnachten zum weltweiten Fest wird. In der globalisierten Konsumgesellschaft verbreiten die Werbung und die Medien die Symbole des Festes rund um den Erdball. «Weihnachten spricht bei vielen ihre Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit und Licht an.» Das feierten auch viele andere Religionen. «Weihnukka» heisst neuestens das Licht-Fest, wenn das jüdische Chanukka mit dem Advent fusioniert.
Der Bonner Kulturwissenschafter Gunther Hirschfeld sieht die Attraktivität des Weihnachtsfests trotz Kommerzialisierung als Chance für die Kirche. «Zwar blieben christliche Inhalte oft auf der Strecke. Aber im Fest verspüre man die verzweifelte Suche und Sehnsucht vieler Menschen nach tragfähigen Inhalten.» Und da sei die Kirche gefordert. Ganz falsch liegt der Volkskundler nicht. In Umfragen nach der beliebtesten Festtagsbeschäftigung nennen die Befragten nach «Familienbesuche», «Ruhe geniessen» an dritter Stelle den «Gottesdienst/Kirche».
Tilmann Zuber, 22.11.2016
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