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Wenn Algorithmen Arbeit abwerten, wächst Widerstand

von Marius Schären, reformiert.info
min
07.07.2022
Schnell, günstig, individualisiert: Die digitalisierte Arbeitswelt macht das Leben leichter – und entwertet Arbeit. Der Soziologe Simon Schaupp fordert Reaktionen.

Smarte Telefone gehören längst zum Arbeitsalltag – und nicht nur sie, die kleinen Taschencomputer: Sobald Menschen was tun für Lohn, ist fast in jeder Branche mindestens ein Teil der Prozesse digitalisiert.

Simon Schaupp hat das erfahren, und er hat die Prozesse als Soziologe genau untersucht. Bei der Arbeit als Velokurier und in der Elektroindustrie liess er sich von Algorithmen leiten. Und er befragte Menschen im Management, in der Entwicklung und bei der Ausführung von Aufgaben.

Die Erkenntnisse bündelte er im Buch «Technopolitik von unten». Die Dissertation wurde mit dem Jörg-Huffschmid-Preis 2021 ausgezeichnet und zeigt, dass die Digitalisierung kein technologisch neutraler und fast gesetzmässig vollziehender Prozess ist, sondern ständig umkämpft. Was aber heisst das?

 

Simon Schaupp, warum heisst Ihr Buch «Technopolitik von unten»?
Der Begriff der Technopolitik verweist darauf, dass Digitalisierung nicht nur dem technischen Fortschritt folgt, sondern Ergebnis politischer Aushandlungen ist. Dabei sind die Beschäftigten nicht nur Objekte der Digitalisierung, sondern können diese auf verschiedenen Ebenen beeinflussen – von betrieblichen Vereinbarungen bis zur alltäglichen Techniknutzung. Technik ist also nicht nur Gegenstand staatlicher Regulierung – einer Technopolitik «von oben» –, sondern wir haben es eben auch mit verschiedenen Strategien «von unten» zu tun.

Diese Strategien «von unten» haben Sie selbst miterlebt. Welche konkreten Beispiele sind Ihnen begegnet?
Ich habe die algorithmische Arbeitssteuerung untersucht, also Situationen, in denen Beschäftigte von Computern statt von Menschen ihre Anweisungen erhalten und auch von diesen kontrolliert werden. Die wichtigste Erkenntnis war dabei: Die vielbeschworene digitale Überwachung ermöglicht eben keine lückenlose Kontrolle. Die Beschäftigten finden immer Autonomiespielräume. So haben die Fahrradkuriere etwa ihr Smartphone-GPS manipuliert, über das sie gesteuert wurden. Und in der Fabrik, in der ich gearbeitet habe, haben die Beschäftigten Tricks entwickelt, wie man die permanente Steigerung der Arbeitsgeschwindigkeit aushebeln kann.

Dann ist die Technologisierung durch Algorithmen nicht einfach nur «böse»?
Im Alltag sind wir permanent auf Technologie angewiesen. Schon bei unserer Geburt profitieren wir von den Errungenschaften der medizinischen Hochtechnologie, das Internet hat unsere Kommunikationsmöglichkeiten enorm erweitert und die Robotik macht viele unangenehme Arbeiten überflüssig. Aber viele technologische Potenziale können nicht realisiert werden, da entwickelt und implementiert wird, was Gewinne erzielt – und nicht, was den Menschen dient. Und in vielen Fällen weisen diese Kriterien in gegensätzliche Richtungen.

Was sind denn Auswirkungen dieser Orientierung am finanziellen Gewinn?
Viele der Beschäftigten, mit denen ich gesprochen habe, beklagen ein sehr hohes Stresslevel infolge der algorithmischen Arbeitssteuerung. Das entsteht dadurch, dass sie das Gefühl haben, permanent überwacht zu werden und ihre Leistung steigern zu müssen. Diese Logik permanenter Steigerung stösst aber an körperliche und psychische Grenzen.

Die Algorithmen würden eine «kybernetische Proletarisierung» bewirken, schreiben Sie. Was heisst das?
Der Begriff bezieht sich auf zwei Aspekte. Der eine ist die Abwertung der Arbeit durch die algorithmische Arbeitssteuerung. Ich habe den Bereich der manuellen Arbeit untersucht. Hier kommt es zu einer Vereinfachung der Arbeitsprozesse durch die detaillierten digitalen Anweisungen. Damit ist es möglich, gelernte durch ungelernte Beschäftigte zu ersetzen und eine «Hire-And-Fire»-Politik zu betreiben. Zugleich kommt es zu einer Verdichtung der Arbeit: Durch die digitale Kontrolle werden Leerläufe eliminiert und Arbeitsprozesse beschleunigt.

Welches ist der zweite Aspekt neben der Abwertung der Arbeit?
«Kybernetische Proletarisierung» bezieht sich auch darauf, dass durch die Arbeitssteuerung fast keine Kommunikation mehr stattfindet zwischen Vorgesetzten und ausführenden Beschäftigten. So erfolgt eine Spaltung in der Organisationskultur: Es entstehen proletarische Subkulturen, die sich wesentlich durch die Abgrenzung vom Management definieren.

Was muss denn geschehen, dass Einfacharbeit aufgewertet wird?
Die Beschäftigten, die von den Abwertungen betroffen sind, wehren sich bereits. Das sieht man etwa an grossen Streiks bei Kurierdiensten wie Smood, Gorillas oder Deliveroo. Aber auch von staatlicher Seite sind Regulierungen notwendig. Die Entstehung einer neuen digitalen Dienerschicht kann etwa durch angemessen hohe Mindestlöhne bekämpft werden. Zudem muss verhindert werden, dass Unternehmen ihre Beschäftigten fälschlicherweise als Selbstständige ausgeben, um Sozialabgaben zu umgehen.

Also sollten die Beschäftigten und die Politik dafür sorgen, dass sozial und ethisch vertretbare Lösungen umgesetzt werden?
Ja, eben mit einer «Technopolitik von unten» und gesetzlichen Regulierungen. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die staatliche Förderung von technischen Innovationen an soziale und ökologische Kriterien gebunden wird. Entwicklungsprojekte, die nicht nachweisen können, dass sie hier einen positiven Beitrag leisten, sollten keine staatlichen Gelder erhalten.

Marius Schären, reformiert.info

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