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Interkulturelles Singen

Wenn Gesang Brücken baut

von Isabelle Berger/reformiert.info
min
11.12.2023
In Bern zeigt eine Gruppe von jungen Geflüchteten und Kunstschaffenden, dass unterschiedliche Fähigkeiten, Sprachen und Herkünfte Reichtum statt Grenzen bedeuten können.

Singen verbindet – das klingt banal. Doch eine Gruppe von jungen Menschen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund hat die Erfahrung gemacht, dass es tatsächlich so ist. Vor drei Jahren startete die Berner Musikvermittlerin Barbara Balba Weber ein ungewöhnliches Projekt im verlassenen Bergdorf Terra Vecchia im Centovalli. Jeden Sommer lud sie Geflüchtete und Kunstschaffende im Alter von 20 bis 30 Jahren für ein paar Monate in das «Kulturdorf» ein, um dort gemeinsam künstlerisch tätig zu sein.

Ein Bergdorf, wie in Afghanistan

Im ersten Jahr sei die eine Hälfte der Gäste Geflüchtete aus Afghanistan gewesen, sagt Weber. «Sie sind selber in Bergdörfern aufgewachsen und bringen das Wissen mit, wie die Leute im Centovalli dort vor hundert Jahren gelebt haben müssen und warum sie gingen.» Die Afghanen brachten auch zum Teil krasse Geschichten mit, die sie selbst erlebt hatten.

 

 

Über die Jahre entwickelte sich das Projekt weiter: Neue Leute kamen dazu, zum Beispiel aus der Ukraine, es entstanden eine Märchensammlung und ein Liederbuch mit gesammelten und selbst geschriebenen Liedern, eigene Theatergruppen und Chöre, die auch ausserhalb des Dorfes auftraten.

Musik als Modell, wie Zusammenhalt geht

Im Projekt trafen nicht nur Menschen aus unterschiedlichen Kulturen aufeinander, sondern auch Profis und Laien. Unter den Teilnehmenden hatte es auch solche die nicht lesen und schreiben oder nicht singen können. «Es geht darum, ein Modell zu schaffen, wie man mit diesen vielen Hintergründen umgehen kann», sagt Weber. Wie hält man zusammen? Wie entstehen Beziehungen? «Mit der Musik kann man vormachen, wie das gehen könnte.» Das Singen könne überall, wo unterschiedliche Menschen zusammenkommen, «unglaublich helfen», so Weber.

Die jungen Künstlerinnen erleben, dass die eigene Kunst Sinn macht.

«Diejenigen Teilnehmenden, die ihre Familien verlassen mussten, sagen, das Projekt gebe ihnen ein Familiengefühl.» Die jungen Geflüchteten, die sonst in unserer Gesellschaft nicht beachtet würden, machten auch die Erfahrung, dass sie mit den Mitteln der Kunst hör- und sichtbar würden. «Die jungen Künstlerinnen erleben, dass sie auch schwere Schicksale mittragen können, dass die eigene Kunst einen Sinn macht, man sie wirklich brauchen kann», sagt Weber. Im harten Konkurrenzkampf, den die Kunstschaffenden im Beruf erlebten, fehle oft diese Sinnhaftigkeit und auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Ein Erlebnis, das unter die Haut geht

Mitgemacht hat zum Beispiel die Literaturstudentin und freischaffende Autorin Ines Strohmaier. Im Rahmen einer Künstlerresidenz arbeitete sie während einem Monat in Terra Vecchia an eigenen Texten und in interkulturellen Produktionen. Diese Zeit habe bei ihr viel ausgelöst. «Künstlerisch hat es mich zu den Wurzeln zurückgebracht: Warum und für wen mache ich Kunst?», sagt sie. Zudem habe sie sich durch das Projekt mit der eigenen Migration auseinandergesetzt. «Ich bin Österreicherin, aber auch Polin und lebe in Bern.» Beeindruckt habe sie auch, dass die geflüchteten jungen Afghanen trotz ihrer schweren Geschichten so lebensbejahend durchs Leben gehen. «Das geht unter die Haut.»

Dass alle willkommen sind, hat Strohmaier im künstlerischen Bereich sehr selten erlebt und schätzt es. «Es gibt Profisängerinnen und solche, die zum ersten Mal im Chor singen.» Trotzdem berühre es, weil es von Herzen komme. «Es geht um die Kunst, die man macht, das was einen ausmacht und zusammenhält.» Mit Ukrainerinnen hätten sie über den Krieg gesungen. «Einiges war belastend. Und doch gab es uns allen Kraft.»

Ein Auftritt, wie auf einem Marktplatz

Am Samstag, 9. Dezember, lädt die Gruppe gemeinsam mit zwei anderen Chören mit Migrationshintergrund und einer Schulklasse in den Progr in Bern und zeigt dort unter dem Titel «Interkulturelles Singen», was in den vergangenen drei Jahren entstanden ist. Das Publikum erwartet aber kein Konzert im gewohnten Sinn. «Das Publikum kann kommen und gehen, man kann sitzen und stehen. Es gibt mehrere im Raum verteilte kleine Bühnen, wie auf einem Marktplatz», sagt Weber. Das passe besser zur Vielfalt unter den Teilnehmenden. Auf dem Programm stehen denn auch verschiedene Formen von Darbietungen: Gesang, Musik, gelesene Texte, gespielte Szenen, Tänze und Experimente.

 

Musikvermittlung Schweiz

Das Projekt «Interkulturelles Singen» wird vom Verein Musikvermittlung Schweiz getragen. Weber als Gesamtleiterin unterstützen die Sängerin und Chorleiterin Selina Batliner, der Autor Francesco Micieli, der Kulturvermittler und Künstler Ramazan Rahimi und die Geigerin und Musikvermittlerin Zoë Gordon.

 

Zudem gibt es einen Blick in die Zukunft: «Wir möchten aus dem Dorf im Centovalli raus», so Weber. Nächstes Jahr möchte sich die Gruppe von Dörfern im Kanton Bern und im Tessin für eine Woche beherbergen lassen und unter Einbezug der dortigen Bevölkerung ihre künstlerisch-integrative Arbeit fortsetzen.

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