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Wenn Luther vom Sockel steigt

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24.03.2017
Das Theaterensemble der Berner Johannes-Gemeinde bringt im Oktober ein Stück zum Reformationsjubiläum auf die Bühne. Ein Werkstattbericht zeigt: Mit dem Thema hat sich die Truppe zunächst ganz schön schwer getan.

Ein Stück zum Reformationsjubiläum? Musste es unbedingt dieses Thema sein? Als die Theatergruppe der Johannes-Gemeinde im vergangenen Jahr von der Berner Landeskirche angefragt wurde, ob man nicht ein Stück zum 500-Jahr-Jubiläum schreiben wolle, hielt sich die Begeisterung in Grenzen. Erst gerade hatte die Laientruppe das 200-Jahr-Jubiläum der Basler Mission dramaturgisch verarbeitet, man mochte sich nicht schon wieder mit einem historischen Stoff abmühen. Doch was, wenn man Luther & Co. kurzerhand von ihrem Sockel holen würde und an der Diskussion teilnehmen liesse? Was hätten die grossen Reformatoren wohl zum Jubiläum zu sagen?

Identifikationsfiguren braucht die Kirche
Nach und nach nahm die Idee Gestalt an. Ein vierköpfiges Autorenteam aus Mitgliedern des Ensembles machte sich an eine erste Fassung. «Lied einer neuen Welt» sollte das Mundartstück heissen, das selbstironisch die Erfahrungen des Ensembles aufgreift. Es schildert die Proben einer jungen Theatergruppe, die ein Stück zum Reformationsjubiläum aufführen soll. Mit Texten aus der Bergpredigt will sie den kirchlichen Alltag kritisch hinterfragen. Doch die Schauspieler werden gestört, als die Kirchenvertreterin Frau Kilchenmann in Begleitung des PR-Experten Meierhans auftaucht. Mit der Bergpredigt kann dieser wenig anfangen. «Es chircheferns Publikum versteit dä Täxt hüt nüm», interveniert Meierhans. Was die Kirche brauche, seien Identifikationsfiguren, schärft der PR-Mann den jungen Schauspielern ein und schafft drei Denkmalsockel auf die Bühne, auf denen Luther, Franz von Assisi und Dietrich Bonhoeffer fürs Publikum posieren sollen. Doch diese sind es leid, als Heilige verklärt zu werden. Sie steigen von den Sockeln und mischen sich in die Diskussion auf der Bühne.

Mut zur Utopie
Man habe ein Stück schreiben wollen, das sich kritisch mit der Realität der Kirche auseinandersetze, sagt Hannes Liechti, einer der Co-Autoren des Stücks. Der Musikjournalist und Sohn des Gemeindepfarrers ist seit vielen Jahren im Theaterensemble der Johannes-Gemeinde engagiert. Er wünscht sich eine Kirche, die sich in politische Diskussionen einmischt und nicht nur den Status quo verwaltet. «Nicht alles am Reformationsjubiläum ist schlecht, aber es gibt diese Tendenz, Gestalten wie Luther auf den Sockel zu heben», sagt Liechti. Daher habe man die Figur des Meierhans mit Texten aus der Bergpredigt konfrontiert. «Die Bergpredigt hat auch heute noch eine unglaubliche Kraft, und sie gibt uns den Mut zur Utopie», ist Liechti überzeugt.

Ein zerbrechliches Gut
Im Stück wird dieser Mut zur Utopie noch von einer weiteren historischen Figur verkörpert: Der französische Pastor André Trocmé rettete während der nationalsozialistischen Besatzungszeit zusammen mit seiner Gemeinde fast 5‘000 Flüchtlinge vor dem Tod. An seinem Tisch findet die Theatertruppe gegen Ende des Stücks ein Beispiel für gelebte Menschlichkeit. Und für eine mutige Kirche. Ecclesia semper reformanda – so könnte sie aussehen. Doch die Versammlung in Trocmés Stube wird gestört von schwarzen Gestalten mit den Masken populistischer Politiker. Auf einer Leinwand erscheinen Fluchtszenen, Geschichte und Gegenwart fallen plötzlich zusammen, die Populisten bilden um die ankommenden Flüchtlinge eine Mauer, und die Utopie erweist sich einmal mehr als ein zerbrechliches Gut.

Geeignet für Schulklassen
Zurzeit arbeiten Hannes Liechti und seine Kollegen am Abschluss der ersten Fassung des Theaterstücks. Bald beginnen die Proben, und Ende Oktober soll das «Lied einer neuen Welt» im Kirchgemeindehaus Johannes uraufgeführt werden – pünktlich also zum Reformationstag. Liechti erwartet bis zu 250 Zuschauerinnen und Zuschauer für jede der sieben Aufführungen, darunter viele Schulklassen. Für diese bietet die Johannes-Gemeinde zudem ein didaktisches Rahmenprogramm mit Workshops und Modellektionen.

Flyer zum Theaterstück «Lied einer neuen Welt»

Heimito Nollé / ref.ch / 24. März 2017

Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».

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