Wer hat Angst vor Religion?
Es ist eng auf der Bühne des Effingertheaters in Bern. Und die fünf Schauspieler müssen sich auch noch um einen echten Swimmingpool herumdrängen. Das Gefühl der Enge überträgt sich auf das Publikum: Was mit einem ungezwungenen Abendessen zweier befreundeter Paare anfängt, endet in einem tiefgreifenden religiösen Konflikt zwischen Menschen, die nur wenig mit Religion am Hut haben.
Alltäglicher Rassismus
Der New Yorker Staranwalt Amir bezeichnet sich als Exmuslim. Emily, seine Frau, hat als Malerin die Schönheit der islamischen Kunst entdeckt. Isaac ist nicht nur ihr Kurator, er ist auch ihr Liebhaber und Jude. Dessen Frau, die Afroamerikanerin Jory, arbeitet in derselben Kanzlei wie Amir. Und bei diesem Abendessen erfährt Amir, dass nicht er, sondern seine Kollegin Jory befördert wird. Der Grund: Amir hat einen Imam öffentlich unterstützt. Das Menu ist angerichtet und die wilde Schlacht endet in einem Fast-Mord, einer Trennung und in viel Ratlosigkeit.
Ausgezeichnetes Kammerspiel
Die bitterböse Komödie zeigt überdeutlich die alltäglichen Konflikte im multireligiösen Zusammenleben auf. Die Mischung aus religiösen, psychologischen und gesellschaftlichen Themen ist explosiv. Ängste brechen auf, Vorurteile, Verunsicherung, Wut und Hass.
David Leutwyler, Sie sind Leiter des Hauses der Religionen in Bern. Welche Probleme begegnen Ihnen an dem Ort, an dem Menschen unterschiedlicher religiöser Herkunft ein friedliches Miteinander leben wollen?
Bei uns gibt es selten haarsträubende Konflikte. Und wenn, dann sind es eher Probleme innerhalb der einzelnen Religionsgemeinschaften und nicht zwischen ihnen. Ab und zu entstehen natürlich Spannungen, weil eine Gruppe genau dann laut ist, wenn eine andere Stille braucht. Gerüche und Düfte können stören oder in der Küche braucht jemand das falsche Geschirr. Aber dafür, dass wir hier auf relativ engem Raum zusammenleben, funktioniert es sehr gut. Auch die Akzeptanz von aussen ist in der Regel vorhanden. Es gibt jedoch Kritik, Ängste und Vorurteile, die wir beispielsweise bei Führungen erleben. Sie fokussieren vor allem auf den Islam.
Zeinab Ahmadi, wie erleben Sie als Bildungsbeauftragte die Führungen im Haus der Religionen?
Da begegne ich sehr unterschiedlichen Menschen. Ich bin Muslima und stelle mich zu Beginn auch als solche vor. Wir gehen durch die Räume der Religionsgemeinschaften und nur in der Moschee werden kritische Fragen gestellt. Ganz besonders zur Gleichberechtigung von Mann und Frau. Ich selber erlebe die Stellung der Frau im Islam als unproblematisch, doch die Besucherinnen und Besucher sehen das oft ganz anders. Es kommen Sätze wie: «Ja, Sie als gemässigte Muslima haben da einen besonderen Blick.» Oder mir wurde auch schon gesagt, dass ich mir etwas vormachen würde. Da begegnen mir viele Vorurteile.
Kommen die Besucher, um sich ihre Vorurteile gegen den Islam bestätigen lassen?
Das kann schon vorkommen. Oft drücken sie ihr Unverständnis auch nur nonverbal aus, durch Kopfschütteln, Augenrollen oder Seufzen. Ich verstehe die Verunsicherung und die Ängste der Menschen durchaus, aber hier wäre der richtige Ort, um sich überraschen zu lassen vom Unbekannten und vielleicht seine Meinung zu überdenken.
Glauben Sie, Sie können etwas ausrichten gegen Halbwissen und vorgefasste Meinungen?
Ich versuche immer wieder an meinem eigenen Beispiel zu zeigen, wie der Islam gelebt werden kann, wie ich ihn lebe. Aber die Meldungen in den Medien sind zu dominant, ich kann kaum etwas ausrichten gegen das Bild über den Islam, das sich in den letzten Jahren verfestigt hat. Eine Frau mit Kopftuch ist selbstverständlich unterdrückt, denken viele. Dem widerspreche ich ganz klar.
Es stört mich auch, dass ich, sobald jemand weiss, dass ich praktizierende Muslimin bin, darauf reduziert werde. Mein Glaube ist nur ein Teil meiner Identität. Früher war ich Studentin. Seit ich hier im Haus der Religionen arbeite, bin ich plötzlich Muslima. Nach 9/11 haben die Medien «den Muslim» erfunden und die westliche Gesellschaft hat das Feindbild Kommunismus durch den Islam ersetzt. Das wird uns wohl noch länger beschäftigen.
Katharina Kilchenmann / reformiert. / 15. Juni 2017
Dieser Artikel stammt aus der Online-Kooperation von «reformiert.», «Interkantonaler Kirchenbote» und «ref.ch».
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