«Hier würde das Luzerner Reformationsdenkmal stehen», sagt Markus Ries, Professor für Kirchengeschichte, und zeigt auf die Wiese bei der heutigen Musegg-Kapelle an der Luzerner Stadtmauer. Daneben wird heute Fussball gespielt. Ob die Reformation aus eigenem Verschulden gescheitert ist oder ob sie durch die Obrigkeit verhindert wurde, lässt Ries offen. Ries ist einer der Initianten des Rundganges, der ab September in Luzern Hintergründe zu einer bewegten Zeit vermittelt.
Tatsache ist: Anfang des 16. Jahrhunderts sieht es für die Reformation in Luzern ganz gut aus. Die Kritik der damaligen Zeit an den kirchlichen Zuständen fällt auf fruchtbaren Boden. In den kirchlichen Schulen und Klöstern verfolgt man seit 1519 interessiert die Debatten, die Luther in Deutschland auslöst. Im selben Jahr kommt ein Luzerner Mitstreiter Zwinglis zurück in seine Heimatstadt, wo er unter dem Spitznamen Myconius an der Stiftsschule das reformatorische Gedankengut verbreitet.
Ursprünglich hiess der damals 31-Jährige Geisshüsler. Zu seinem lateinischen Namen kam er aufgrund seiner ausgeprägten Stirnglatze, wie sie auf der Kykladen-Insel Mykonos verbreitet war. Wie sein Freund Huldrych Zwingli nimmt Myconius in Luzern sofort Stellung gegen den Heiligen- und Reliquienkult sowie das Söldnerwesen.
Die Reformer provozieren
Seine reformatorische Agitation treibt Myconius am Musegg-Umzug 1522 auf die Spitze. Die Prozession um die Stadt ist jeweils das Ereignis des Jahres und hat überregionale Bedeutung. Immerhin kann man sich damit all seiner Sünden entledigen. Der Anlass hat den Ablasswert einer Pilgerreise nach Rom. Der Luzerner Rat hat deshalb verordnet, dass mindestens eine Person aus jedem Haushalt am Umzug teilnimmt.
Zur «Romfahrt» von 1522 lädt Myconius für die Festpredigt der Zürcher Lutheraner Konrad Schmid ein. Der begnadete Prediger trägt in seiner hinreissenden Rede vor, dass es neben Christus weder Heilige noch den Papst brauche. Die Bibel sei für jeden Christen die einzige Autorität, die es anzuerkennen gelte. Der kontroverse Auftritt Schmids führt zu heftigen Reaktionen der Kirche – die Stimmung in Luzern kippt. Die Verfechter der altgläubigen Tradition erringen die Oberhand in der Stadt.
Ausweisungen führen zu Bildungsnotstand
Die Maler von Heiligenbildern im Kanton Zürich, die mit der Reformation arbeitslos geworden sind, freut diese Entwicklung. Sie finden als Wirtschaftsflüchtlinge an der Reuss Arbeit – zum Beispiel als Maler für die Gemälde auf der Kapellbrücke.
Den Reformern wird das Leben schwer gemacht. Als Erster wird 1522 der Schaffhauser Sebastian Hofmeister, der als Lesemeister am Barfüsserkloster unterrichtet, aus der Stadt verwiesen. In einem Schreiben an die Luzerner schreibt er später «o Lucerna wie bistu so gar verstopft». Darin ruft er auf, sich dem Gedankengut der Reformation zu öffnen.
Kurz nach Hofmeister muss auch Myconius Luzern verlassen. Damit werden zwei bedeutende Meinungsmacher, die in der Sprache des Volkes predigen und unterrichten, vertrieben. Die Altgläubigen erringen damit auch die Hoheit über die Bildung zurück. Als Folge davon entwickelt sich in Luzern ein Bildungsnotstand. Dieser verschärfte sich zweihundert Jahre später nochmals, als in Luzern der Besitz der Bibel in deutscher Sprache verboten wird.
Blutgeld für Söldner gab Ausschlag
Noch ist kein Entscheid zur Ablehnung oder Annahme der Reformation gefallen. Die politische Elite, welche zur damaligen Zeit die Söldnerführer stellt, fürchtet aber durch die Kritik der Reformatoren am Söldnerwesen um ihre Existenz. Die Einnahmen, mit dem Verkauf von jungen Luzerner Männern an die Fürsten- und Königshäuser Europas sind ein lukratives Geschäft.
Die Obrigkeit will nicht auf diese Gelder verzichten. Als Argument gegen die Reformation führt der Luzerner Rat ins Feld, dass mit den Geldern aus dem Solddienst auf die Besteuerung der Bevölkerung verzichtet werden kann. Dies gibt schliesslich den Ausschlag.
1524 beschliessen die Regierungen von Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden und Zug, der alten Kirche treu zu bleiben. Reformierte Gottesdienste in Luzern werden erst 276 Jahre später wieder erlaubt.
Der Hassprediger am Gutenberghof
Fortan werden alle reformatorischen Bemühungen in Luzern im Keim erstickt. An vorderster Front agitatorisch tätig ist Thomas Murner aus Strassburg (Bild links). Er verfasst und druckt den «Kirchendieb- und Ketzerkalender». Darin greift er in äusserst scharfen Worten alles Reformatorische an. Heute würde man ihn als «Hassprediger» bezeichnen», sagt Markus Ries und zeigt auf die Statue Murners, mit der ihm die Luzerner am Gutenberghof ein Denkmal setzten.
Dass die Reformation scheitert, liegt weniger an den Verfehlungen und Exzessen der Kirche, sondern vielmehr an wirtschaftlichen Interessen. Ein weiterer Grund dürfte im Wesen von Myconius gelegen haben. Der Mann war ein Theologe und Gelehrter. Anders als Zwingli, der auch ein gewiefter Politiker war, schaffte es Myconius nicht, politische Allianzen zu schmieden, um der Reformation zum Durchbruch zu verhelfen. An der Luzerner Matthäus-Kirche erinnert heute ein Relief an Myconius und dessen Tätigkeit.
25.8.2017 / Philippe Welti
Weshalb die Luzerner Reformation scheiterte