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«Wir erklären und verteidigen unseren Glauben zu wenig»

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22.09.2020
Der einstige Bankenchef Oswald Grübel über seinen Glauben, die Konzernverantwortungsinitiative und warum er gerne mit der Kirche in Dialog tritt.

Man kennt Sie als ehemaligen CEO von Credit Suisse und UBS, man weiss, Sie sind kulturinteressiert, aber wie Sie zur Religion stehen, ist wenig bekannt. Deswegen stelle ich zuerst einmal unsere Gretchenfrage: Wie haben Sies mit der Religion, Herr Grübel?
Ich wurde katholisch getauft, und im christlichen Glauben erzogen. Meine Grossmutter, bei der ich die ersten Lebensjahre als Kriegswaise aufwuchs, war Protestantin. Als Kind und Jugendlicher war ich Ministrant, auch später ging ich regelmässig in die Kirche. Von 1971 bis 1991 lebte ich in England, wo meine Tochter aufwuchs, und wir jeden Feiertag in die Kirche gingen. Heute besuche ich den Gottesdienst seltener. Die Kirche als Institution muss vor allem Jugendlichen zugänglich gemacht werden. Ich bin überzeugt vom christlichen Glauben, ich halte ihn für den besten Glauben überhaupt.

Warum?
Die Bibel ist aus der Beobachtung der Menschen herausgeschrieben. Das gibt uns Halt und sagt uns, wie wir uns verhalten sollen. Unser Glaube ist sehr tolerant, und propagiert die Gleichheit vor Gott. Wir müssen uns keinen modischen Strömungen anpassen. 

Was meinen Sie mit «modischen Strömungen»?
Wir leben in einer Zeit, in der wenige Menschen mit etwas Führungstalent über die sozialen Medien sehr schnell viele Menschen mobilisieren können. Minderheiten werden so zur scheinbaren Mehrheit. Die Grundprinzipien des christlichen Glaubens sind dagegen unerschütterlich, die zehn Gebote sind die Basis unserer Verhaltensordnung. Allerdings finde ich, dass wir unseren Glauben zu wenig erklären und verteidigen.

Was heisst das?
Diese Gruppierungen, egal ob es sich um andere Glaubensrichtungen handelt oder politische Bewegungen, sind lauter als wir. Wir Christen sind manchmal zu tolerant, wir passen uns dem «Mainstream» zu leicht an und verteidigen unsere Glaubensgrundsätze zu wenig. 

Man könnte meinen, Sie hätten Angst um das christliche Abendland?
Wenn wir noch ein paar hundert Jahre so weitermachen, wird davon nicht mehr viel übrig bleiben, dann werden wir zur Multiglaubensgesellschaft ohne festen Bezug.

In einigen Bereichen haben sich die Kirchen zuletzt deutlich Gehör verschafft, etwa in ihrer Unterstützung der Konzernverantwortungsinitiative. Wie beurteilen Sie das?
Die Ziele sind ehrenvoll und richtig. Aber ich bin gegen die Initiative, so wie sie umgesetzt werden soll.

Was bemängeln Sie?
Sie ist schlichtweg nicht realistisch. Die Schweiz kann in einer globalisierten Welt so etwas nicht allein angehen und glauben, es werde sich etwas verändern. Diverse Firmen, nicht nur Rohstoffhändler, müssten aus der Schweiz wegziehen, es gingen ein paar Tausend Arbeitsplätze verloren. Der Rohstoffhandel würde sich ins Ausland verlagern, ohne dass sich etwas ändern würde. Warum sollten wir  etwas tun, das uns nur schadet und den Betroffenen keinen Nutzen bringt? Zudem besteht die Gefahr, dass wir den Betroffenen schaden, denn wir können nicht die Innenpolitik anderer Staaten bestimmen.

Was ist die Alternative? Wir sind zum Nichtstun verbannt?
Nein. Aber so etwas muss international koordiniert werden. Zum Beispiel zwischen den G-7 Staaten, das wäre ein ernsthaft erster Schritt. Das Argument, einer muss damit anfangen, hält nicht stand.

So eine Einigung ist doch eher unrealistisch.
Im Bereich Geldwäsche hat die OECD gehandelt und wirklich viel erreicht. Das zeigt, dass es möglich ist. Ich glaube, bei einem internationalen Abkommen würden die Konzerne sofort mitmachen. 

Warum können Unternehmen nicht auch selbst ihre Lieferketten überprüfen, mit guten Subunternehmern zusammenarbeiten, die Arbeitsbedingungen ihrer Angestellten im Ausland verbessern?
Der Spielraum für die Unternehmen ist klein. Wenn man in einem anderen Land Geschäfte macht, muss man sich an die dortigen Gesetze halten. Die Verstösse finden oft in Diktaturen oder wirtschaftlich schwachen Entwicklungsländern statt. Wir können von Firmen nicht verlangen, in diesen Ländern gegen die Gesetze zu handeln. Und gleichzeitig unseren eigenen Konsum nicht anpassen.

Sie finden die Konsumenten wälzen die Verantwortung auf die Konzerne ab?
Man zeigt ja immer gerne mit dem Finger auf andere. Aber wir wollen in unserer sauberen Welt mit Elektroautos herumfahren, immer das neueste Smartphone haben. Dass Lithium, Kobalt und seltene Erden in Entwicklungsländern gewonnen werden und dafür enorm viel Energie und Wasser verbraucht wird, interessiert uns nicht, weil wir denken, es betrifft uns nicht. Wir sind nicht konsequent in unserem Denken.

Prangern Sie nur das Engagement der Kirche für die Konzernverantwortungsinitiative an oder sind Sie grundsätzlich gegen eine politische Kirche?
Nein, ich finde, die Kirche ist für die moralischen Grundsätze zuständig. Es gibt viele gesellschaftliche Themen wo die Kirche auf der Basis unseres Glaubens klare und für die Gläubigen nachvollziehbarere Entscheidungen treffen muss.

Sie waren am Bettag ins Grossmünster eingeladen. Viele Wirtschaftschefs schrecken davor zurück, über ihren Glauben zu sprechen. Was ist Ihre Motivation?
Warum soll ich nicht über meinen Glauben reden? Zwischen Kirche und Wirtschaft gibt es viele Missverständnisse. Ich trage gerne dazu bei, dass der Dialog gestärkt wird und sich weitere Akteure beteiligen.

Die Predigt bezog sich auf den Galaterbrief, in dem der Apostel Paulus die fehlgeleiteten Adressaten in scharfen Worten daran erinnert, dass zur Rechtfertigung nicht das Gesetz, sondern der Glaube dient. Was sagt Ihnen diese Stelle?
Da wären wir wieder bei den ersten Punkten unseres Gesprächs angelangt, bei den falschen Propheten. Ähnlich wie damals braucht es auch heute eine Rückbesinnung auf die Wurzeln des christlichen Glaubens. Und eine stärkere Verteidigung unseres Glaubens und unserer Grundregeln gegenüber den anderen Strömungen und Bewegungen. 

Sehen Sie im Brief auch Relevanz für die Wirtschaft?
Natürlich. Vertrauen ist die Basis eines jeden Geschäfts in der Wirtschaft. Ohne die christlichen Grundregeln der Gesellschaftsordnung, wie wir sie haben, gibt es kein Vertrauen.

Interview: Cornelia Krause, reformiert.info

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