«Wir erleben die ersten Verdrängungskämpfe»
Herr Brunner, Ihre Initiative bringt das Thema Schweiz auf das Parkett. Wie sieht für Sie die ideale Schweiz aus?
Die ideale Schweiz ist ein direktdemokratisches kleines Land, das selbst über seine Zukunft entscheidet. Das ist ein Sonderfall und Privileg. So können wir am 9. Februar über die Frage abstimmen, wie viel Zuwanderung wir wollen.
Die Schweiz braucht die Zuwanderung von ausländischen Arbeitskräften.
Unsere Initiative bedeutet ja keinen Stopp der Zuwanderung. Wir wollen der Wirtschaft weiterhin die Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Unsere Kernfrage lautet: Wollen wir in Zukunft wieder selber steuern, wie viele Menschen kommen und wer wie lange in der Schweiz leben darf?
Sie müssen zugeben, die Einwanderung hat die Schweiz auch reich gemacht?
Es ist gewagt zu behaupten, die Personenfreizügigkeit hätte den Wohlstand gebracht, denn die Schweiz war schon vorher vergleichsweise gut positioniert. In den letzten Jahren gründete sich das BIP-Wachstum auf den Leuten, die eingewandert sind. Dadurch wurde mehr konsumiert und gebaut. Das BIP pro Kopf stagniert jedoch seit Jahren. Das ist kein nachhaltiges Wachstum. Das Erfolgsmodell Schweiz beruht meiner Meinung nach darauf, dass wir offen sind und gleichzeitig selber bestimmen können. Wir haben einen Ausländerteil von 23 Prozent. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist dies hoch. Und wir pflegen ein gutes Verhältnis zum Ausland.
Die Zugezogenen sind eine Bereicherung, für die man dankbar sein dürfte.
Ja. Aber die Menge macht es aus. Es ist nicht mehr bereichernd, wenn in einer Schulklasse nur noch ein Schweizer Kind sitzt. Oder wenn die Schweiz zubetoniert wird. Der Platz ist beschränkt. Als Folge steigen die Mieten. Es wird eng, nicht nur im Zug, sondern auch auf den Strassen. Die Infrastruktur gelangt an ihre Grenzen. Es muss den Leuten, die hier leben, seien es In- oder Ausländer, auch weiterhin wohl sein.
Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund wirft der Initiative vor, nicht den Menschen zu sehen, sondern nur die Zahl.
Es ist ein quantitatives Problem. Im letzten Jahr hat die Schweizer Bevölkerung erstmals die Acht-Millionen-Grenze überschritten. In den letzten sechs Jahren sind eine halbe Million Menschen eingewandert.
Stachelt die Initiative nicht die Fremdenfeindlichkeit an, indem sie die Migranten als bedrohliche Masse darstellt?
Im Zentrum unserer Kampagne stehen die Worte «Masslosigkeit schadet». Im Leben ist vieles eine Frage des Masses, sei es das Rauchen, Trinken oder Essen. Das Gleiche gilt für die Migration. Auch da kann bei zu viel Zuwanderung die Stimmung kippen, wenn es auf dem Arbeitsmarkt zum Verdrängungskampf kommt, Parallelgesellschaften oder rechtsfreie Räume entstehen, in die sich selbst die Polizei nicht mehr traut.
Mit dem Vorstoss, Kontingente einzuführen, will die Initiative die Zeit zurückdrehen, als Saisonniers in die Schweiz kamen.
Das Kontingent und die Höchstzahlen, dir wir vorschlagen, sind in der Schweiz nichts Neues. Wir wenden diese auch heute an, beispielsweise gegenüber Drittstaaten oder gewissen Staaten in Osteuropa, bei denen es aktuell noch nicht die volle Personenfreizügigkeit gibt.
Es ist doch auch nicht gesund, wenn Menschen hier in der Schweiz getrennt von ihrer Familie leben.
Mit dem Saisonnier-Status kamen die Leute für drei, sechs oder neun Monate in die Schweiz. In gewissen Branchen gab es oft Praktikanten, die sich so ihr Studium in der Heimat finanzierten. Bei der heutigen Bedienungspolitik holen sich viele Betriebe die besten Leute im Ausland. Die anderen Staaten verlieren ihre besten Kräfte. Das Ganze löst eine Kettenreaktion aus: Deutschland holt dann seine Arbeitskräfte aus Polen. Und Polen aus der Ukraine. Diese Wanderbewegung sollte man durchaus kritisch hinterfragen.
Sie werfen der Wirtschaft vor, sich auf dem internationalen Arbeitsmarkt zu bedienen.
Wer sich auf einem Arbeitsmarkt von 500 Millionen Menschen bedienen kann, holt in erster Linie Leute, die jünger und billiger sind. Wir erleben im Moment die ersten Verdrängungskämpfe. Ältere Portugiesen landen etwa in der Arbeitslosenversicherung, weil man sie durch jüngere und günstigere Polen ersetzt. Es ist doch nicht nachvollziehbar, warum in der Schweiz zehntausende Leute aus dem Bau- und Gastgewerbe arbeitslos sind, aber immer noch mehr Leute aus dem Ausland geholt werden. Es gibt nicht nur den einzelnen Unternehmer, der auf einfachstem Weg zu einer Arbeitskraft kommen sollte, sondern auch den Aspekt der Gesamtwirtschaft und der Lebensqualität. Es kann doch nicht sein, dass man sich frei bedient und die Arbeiter, die man nicht mehr braucht, einfach in die Sozialwerke abschiebt. Die Folgekosten tragen wir alle.
Herr Brunner, Sie sprechen von Nachhaltigkeit und Verantwortung der Wirtschaft. Sie klingen ja beinahe wie ein Grüner oder Jungsozialist.
Wir spüren zumindest an der Basis über alle Parteigrenzen hinweg Zustimmung. Es gibt zudem ja auch eine Initiative aus ökologischen Kreisen.
Sie meinen die Ecopop-Initiative?
Ja. Die ist einiges rigider, denn sie will das Bevölkerungswachstum klar beschränken. Wir haben darauf verzichtet, eine Zahl für die Zuwanderung zu nennen. Wir wollen der Wirtschaft die Arbeitskräfte zur Verfügung stellen. Wir brauchen einen Mechanismus, um die Einwanderung wieder selbstständig steuern zu können.
Der Kirchenbund moniert, dass die Initiative Zuwanderer und Asylbewerber in den gleichen Topf steckt.
Wir haben den Asylbereich bewusst einbezogen, um den politischen Druck aufrechtzuerhalten. Auch hier gilt, Mass zu halten.
Wollen Sie das Asylwesen jetzt auch mit Kontingenten regeln?
Hinter dem Asylwesen steht ein humanitäres Anliegen. Wer in die Schweiz kommt und an Leib und Leben bedroht ist, soll Asyl erhalten. In den letzten Jahren mussten wir zunehmend feststellen, dass Wirtschaftsmigranten über das Asylschiene in die Schweiz kommen. Die Arbeitssuchenden haben in einem Asylverfahren nichts verloren.
Herr Bunner, Sie werden oft in die Ecke der Fremdenfeindlichkeit gestellt. Stört Sie das nicht?
Ich habe mich daran gewöhnt, gerade in Bezug auf unsere Asylpolitik. Wenn man die Migration nur schon anspricht, wird man in eine bestimmte Ecke gestellt. Man kann nur den in eine Ecken stellen, der eine Meinung hat und diese auch äussert. Ich behaupte nicht, dass unsere Initiative alle Probleme löst. Aber von den anderen Parteien haben wir noch gar keine Lösung gehört.
Was meinen Ihre ausländische Bekannte. Was meinen diese zur Initiative?
Ich werde viel darauf angesprochen und staune, wie die Leute diese Thematik aufmerksam verfolgen. Gerade letzthin hat mir jemand in gebrochenem Deutsch zugeflüstert: «Weiter so!»
Sie werden sicher auch angepöbelt?
Doch, das gibt es auch. Aber damit kann ich leben.
Delphine Conzelmann, Tilmann Zuber
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