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«Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen»

von Sandra Hohendahl-Tesch/reformiert.info
min
12.03.2025
Die Regierung von Donald Trump schränkt die Rechte queerer Menschen dramatisch ein. Ein Pastor und LGBTQ+-Aktivist aus Texas erzählt, was dies für Betroffene im Alltag bedeutet.

Wie hat sich das Leben für LGBTQ+-Personen nach Donald Trumps Wiederwahl verändert?

John Leedy: Die sofortigen Reaktionen in der queeren Gemeinschaft in Texas waren Angst, Wut und Trauer über den Verlust einer Zukunft, die möglich gewesen wäre, hätte die Wahl einen anderen Ausgang genommen. Besonders trans und nicht-binäre junge Menschen haben im ganzen Land bereits erhebliche Einschränkungen erfahren. So wurde ihr Zugang zur Gesundheitsversorgung stark eingeschränkt, ebenso das Recht, die eigene Geschlechtsidentität in offiziellen Dokumenten korrekt anzugeben. Sämtliche Verweise auf das Wort «transgender» wurden von staatlichen Webseiten entfernt – darunter auch von der Webseite des Stonewall National Monuments. (Anmerkung der Redaktion: Das Stonewall National Monument ist ein Denkmal in New York City, das an die Stonewall-Aufstände von 1969 erinnert – einen historischen Wendepunkt für die LGBTQ+-Bewegung. Es würdigt den Kampf für Gleichberechtigung und die Rolle von Aktivisten und Aktivistinnen, darunter auch Transpersonen, deren Erwähnung nun von staatlichen Webseiten entfernt wurde.)

Beobachten Sie im Alltag eine Zunahme von Diskriminierung und Hass?

Massiv. Christliche Nationalisten, Hassgruppen und einzelne Bürger fühlen sich nun ermutigt, ihre diskriminierenden und hasserfüllten Verhaltensweisen offen auszuleben – sowohl online als auch in der Öffentlichkeit. Die Wahl von Trump gibt ihnen das Gefühl, eine offizielle Erlaubnis zur Diskriminierung von LGBTQ+-Personen und anderen marginalisierten Gruppen zu haben. Diese Veränderung ist auf vielen Ebenen spürbar – von Anfeindungen im Alltag bis hin zu systematischer Diskriminierung durch neue Gesetze.

Zum Beispiel?

Politiker haben eine beispiellose Anzahl an Gesetzen eingebracht, die LGBTQ+-Rechte weiter beschneiden – darunter die Gleichstellung der Ehe und Partnerschaft, Gesundheitsversorgung für Transsexuelle und den Zugang zu Toilettenräumen. Viele Mitglieder der Community befürchten gar, dass ihre Dokumente eingezogen werden könnten, wenn sie versuchen, das Land zu verlassen. Oder dass Listen mit Namen von Personen geführt werden, die eine Änderung ihres Geschlechtseintrags beantragt haben.

 

John Leedy ist presbyterianischer Pastor und Geschäftsführer der kin•dom community sowie Associate Pastor der Hope Presbyterian Church in Austin, TX. Leedy hat mehrere theologische Abschlüsse und ist Benediktiner-Oblate. Mit einer langen Erfahrung in der Camp-Arbeit setzt er sich leidenschaftlich für inklusive Räume für LGBTQ+-Jugendliche ein. Er lebt in Austin mit seiner Frau und ihren zwei Töchtern.

 

Sie sind in der Jugendarbeit tätig. Haben junge Menschen aus der LGBTQ+-Community neue Ängste oder Befürchtungen mit Ihnen geteilt?

Ja, beinahe täglich. Am Morgen nach Trumps Wiederwahl erhielt ich eine Nachricht von einem Jugendlichen, der letzten Sommer an unserem LGBTQ+-Camp teilgenommen hatte und in einer ländlichen Region von Texas lebt. Er schrieb: «Ich habe so grosse Angst, heute zur Schule zu gehen. Der Held meines Mobbers wurde soeben als Präsident vereidigt.»

Fast jede Woche hören wir von jungen Menschen, die unter Mobbing durch Gleichaltrige leiden, oder von hasserfüllten Kommentaren und Videos in sozialen Medien. Besonders trans und nicht-binäre Jugendliche fürchten sich davor, nicht nur von Erwachsenen, sondern auch von ihren eigenen Mitschülern körperlich angegriffen zu werden. Sie sorgen sich um ihre Sicherheit, die Sicherheit ihrer Familien, ihre Chancen auf eine Hochschulbildung, ihre berufliche Zukunft und ihre psychische sowie physische Gesundheit.

Kann man sagen, die Schule ist für queere texanische Jugendliche zu einem unsicheren Ort geworden?

Leider ja. Erst letzte Woche standen erwachsene Männer mit Protestplakaten vor einer Mittelschule, um eine transsexuelle Mathematiklehrerin anzugreifen, die dort seit Jahren unterrichtet. Die Demonstranten positionierten sich so, dass alle Schüler sie auf dem Schulweg sehen konnten. Solche öffentlichen Hetzaktionen senden eine verheerende Botschaft an queere Jugendliche: «Ihr seid hier nicht erwünscht.»

Verlassen diese offenen Anfeindungen und die zunehmend restriktiven Gesetze LGBTQ+-Familien derzeit, Texas zu verlassen?

Ja, immer mehr. Familien, die Texas bereits verlassen hatten, um in anderen Staaten eine medizinische Versorgung für ihre Kinder sicherzustellen, sehen sich nun auch gezwungen, noch weiter wegzuziehen – teils sogar ins Ausland. Berichten zufolge erwägen Politiker, Gesetze zu verabschieden, die es strafbar machen würden, wenn Eltern ihr Kind für geschlechtsangeleichende Behandlungen ausserhalb der USA bringen.

Ihr Camp für LGBTQ+-Jugendliche hat bereits jetzt hohe Sicherheitsmassnahmen. Müssen Sie diese weiter verstärken?

Aktuell registrieren sich LGBTQ+-Jugendliche für unser nächstes Sommercamp. Viele Eltern äussern auf dem Anmeldeformular Sorgen über die Sicherheit des Camps. Unsere Organisation überlegt gerade, welche zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen notwendig sein könnten, um die Jugendlichen bestmöglich zu schützen.

Die Ohnmacht scheint gross. Gibt es denn auch Widerstand gegen diese politische Einflussnahme?

Auf jeden Fall. Der Widerstand wächst. Gerade heute habe ich eine Einladung erhalten, mich einer LGBTQ+-Protestbewegung im texanischen Kapitol anzuschliessen. In den gesamten USA entstehen Widerstandsbewegungen, Proteste und Boykotte gegen Unternehmen, die ihre Diversity-, Equity- und Inclusion-Programme (DEI) eingestellt haben. Wir werden nicht schweigen. Wir lassen uns nicht auslöschen. Wir werden nicht untätig zusehen, wie unsere Kinder verletzt, gedemütigt und verfolgt werden. Ich bin dankbar für LGBTQ+-affirmative Non-Profit-Organisationen, progressive Politiker und Unternehmen, die sich bereits für uns einsetzen. Ebenso bin ich dankbar für alle Einzelpersonen, die sich solidarisch zeigen und aktiv Hilfe leisten.

Was konkret bedeutet es für die LGBTQ+-Gemeinschaften, dass die Trump-Regierung die Programme für Diversität, Gleichberechtigung und Inklusion beendet hat? Geplant ist ja auch, das Bildungsministerium zu schliessen.

Das Ende von DEI-Programmen und -Richtlinien betrifft die LGBTQ+-Gemeinschaft direkt, da faire, sichere und zugängliche Behandlung im Bildungs- und Beschäftigungskontext nicht mehr geschützt/gewährleistet? Ist. Was viele nicht wissen: Das Bundesamt für Bürgerrechte (Office for Civil Rights) ist Teil dieses Bildungsministeriums. Dessen Schliessung würde nicht nur die Finanzierung öffentlicher Schulen beeinträchtigen, sondern auch den Schutz marginalisierter Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte im Rahmen von DEI-Richtlinien. Das Ende von DEI-Programmen und die Schliessung des Bildungsministeriums bedrohen zudem andere Gemeinschaften, die mit queeren Gemeinschaften Schnittmengen haben – darunter rassische und ethnische Minderheiten, Frauen, Menschen mit Behinderungen, Personen aus sozioökonomisch benachteiligten Gruppen sowie Gemeinschaften von Migrantinnen und Migranten, Geflüchteten und Asylsuchenden.

Glauben Sie, dass mit der neuen Regierung auch Frauenrechte wieder unter Druck kommen? Das Nationale Recht auf Abtreibung wurde ja bereits im Juni 2022 gekippt.

Bestimmt. Frauen und Mädchen haben unter der letzten Trump-Regierung bereits gelitten und werden dies weiterhin tun. Ausgenommen von einer Beschränkung der eigenen Rechte sind einzig heterosexuelle, weisse, nicht-behinderte, wohlhabende, konservativ-christliche, heterosexuelle männliche Staatsbürger.

Ist es überhaupt noch möglich, sich frei zu äussern, ohne mit Gegenreaktionen rechnen zu müssen?

Ich glaube nicht, dass es in diesem Land noch möglich ist, unser verfassungsmässiges Recht auf Meinungsfreiheit auszuüben und sich gegen diese anti-LGBTQ+-Politiken und -Gesetze auszusprechen, ohne das Risiko von Gegenreaktionen einzugehen. Ich habe sogar Angst, diese Fragen zu beantworten. Da der Einsatz von KI auf Bundesebene zunimmt, wird es für Regierungsbeamte immer einfacher, LGBTQ+-Personen online ausfindig zu machen. Dennoch wird das Risiko von Repressalien weder mich noch die queere Gemeinschaft dazu bringen, im Angesicht von Unterdrückung zu schweigen.

Wie reagieren kirchliche Organisationen auf die Situation?

Queerfreundliche Kirchen und Glaubensgemeinschaften organisieren sich ebenfalls. Ich habe an Treffen von Geistlichen teilgenommen, die gezielt daran arbeiten, sich auf staatlicher und lokaler Ebene für LGBTQ+-Rechte einzusetzen. Es ist essenziell, dass progressive religiöse Stimmen gehört werden, um dem extrem konservativen Narrativ christlicher Nationalisten entgegenzutreten. Politiker müssen wissen, dass nicht alle gläubigen Menschen deren engstirnige, hasserfüllte Interpretation der Bibel teilen.

Trotz allem – was gibt Ihnen Hoffnung?

Dass die queere Community immer überlebt hat und immer überleben wird. Wir sind weiterhin laut, kreativ und entschlossen. Wir schreiben weiterhin Bücher, machen weiterhin Musik, kämpfen weiterhin für Gerechtigkeit – und schicken unsere Kinder weiterhin ins Camp. Ich war noch nie stolzer darauf, ein Teil dieser wunderbaren Community zu sein.

 

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