«Wir schauen hin, wir schauen nicht weg»
Am 24. Februar jährt sich der russische Angriff auf die Ukraine zum dritten Mal. Aus diesem Anlass organisierten die Evangelisch-reformierte Kirche Basel-Stadt, die Kirchgemeinde Kleinbasel und das Pfarramt für weltweite Kirche einen Solidaritätsabend. Im Mittelpunkt stand das Kammerorchester Renaissance aus Mariupol, das wegen des Krieges nach Kiew fliehen musste. Das Orchester gastiert derzeit in der Schweiz und spielt unter anderem Konzerte in Zürich, Basel, Bern, Luzern, Zug und Solothurn.
Conradin Cramer, Regierungspräsident von Basel-Stadt, begrüsste die Gäste in der voll besetzten Theodorskirche. Er dankte ihnen für ihr zahlreiches Erscheinen, um Mitgefühl und Solidarität zu zeigen. «Wir versammeln uns aus traurigem Anlass. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind drei Jahre vergangen. Und nun hören wir in dieser Woche Dinge vom sogenannten Führer der freien Welt, die uns entsetzen.» Cramer spielte auf die jüngste Kehrtwende des US-Präsidenten Donald Trump an, der Friedensverhandlungen mit Putin ohne die Ukraine plant und dem ukrainischen Präsident Selenskyj die Schuld an der Dauer des Krieges gibt.
Diese Verdrehung von Opfer und Täter ist schreiend ungerecht.
«Wir alle wünschen uns Frieden. Doch Frieden ist keine Selbstverständlichkeit. Er ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist ein Prozess», betonte Cramer. Dialog und Begegnung seien Teil dieses Prozesses. «Heute Abend hören wir zu. Wir zeigen Mitgefühl. Wir schauen hin. Wir schauen nicht weg.»
Auch Lukas Kundert, Kirchenratspräsident der Evangelisch-reformierten Kirche Basel-Stadt, zeigte sich erschüttert über die jüngsten Entwicklungen. «Diese Verdrehung von Opfer und Täter ist schreiend ungerecht. Man fühlt sich machtlos.» Das Konzert sei zugleich Trost und Anklage gegen die Mächtigen, die das friedliche Leben in der Ukraine zerstören. Kundert betete mit den Anwesenden für die Ukraine und die Geflüchteten, auch jene in der Schweiz. Rund 1800 Ukrainerinnen und Ukrainer leben derzeit in Basel. In der Markuskirche treffen sie sich dienstags und donnerstags, um sich zu vernetzen und zu organisieren – es ist eines der grössten Ukraineprojekte in der Schweiz.
Das Kammerorchester Renaissance aus Mariupol spielte in der Theodorskirche Werke ukrainischer Komponisten. Das Video direkt auf Instagram ansehen. | Video: Noelle
Zwischen den Reden und Gebeten spielte das Kammerorchester aus Mariupol unter der Leitung von Vasyl Kriachok Werke ukrainischer Komponisten. Für einen Moment schienen Krieg und Entbehrungen weit weg. Doch während des Konzerts zerbarst der mächtige Kontrabass hör- und sichtbar. Die Musikerin stimmte das beschädigte Instrument in der kurzen Pause neu und spielte unbeirrt weiter – ein Sinnbild für die unerschütterliche Haltung der Ukrainer, war man sich im Publikum einig.
Halyna Rauber, Vertreterin des Vereins «Ukrainer in Basel», betonte denn auch in ihrem Gebet: «Die Ukraine wird nie wieder Teil eines autoritären, menschenverachtenden Regimes sein. Gott, wir brauchen deine Führung, damit Europa aufwacht und Verantwortung für seine Sicherheit übernimmt.»
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Eine Musikerin des Orchesters spielte das Konzert mit einem beschädigten Kontrabass zu Ende. | Foto: Noelle
Ich habe noch den Schlüssel zu meiner Wohnung, aber er öffnet nichts mehr.
Eindrücklich war auch der Bericht aus Mariupol. Die Stadt wurde 86 Tage belagert, bevor sie fiel. Von den einst 400’000 Einwohnern lebt heute nur noch ein Bruchteil in der Stadt. Viele Menschen aus Mariupol fanden in westlichen Ländern Zuflucht, die übrigen sind über die Ukraine verstreut. Einer von ihnen ist Sergiy Orlov, der Vize-Bürgermeister von Mariupol. «Ich kann nicht zurück. Ich bin 46 Jahre alt, 43 davon habe ich in Mariupol gelebt. Seit mehr als 1000 Tagen bin ich fern von meiner Heimatstadt. Ich habe noch den Schlüssel zu meiner Wohnung, aber er öffnet nichts mehr», berichtete Orlov. Er schätzt, dass etwa 25’000 Menschen in Mariupol ums Leben kamen.
Der Abend schloss mit Fürbitten und einem Segen, den die Organisatoren Boris Belge sowie Daniel Frei vom Pfarramt für weltweite Kirche sprachen. Beim anschliessenden Apéro sammelten sie Spenden für den Verein «Ukrainehilfe mit Herz».
Die Gedenkfeier zeigte, dass die Unterstützung für die Ukraine ungebrochen ist und der Wunsch nach Frieden und Gerechtigkeit viele Menschen verbindet. «Wir dürfen nicht nachlassen in unserem Engagement», sagte ein Teilnehmer. «Dieser Krieg betrifft uns alle.»
Über die Belagerung von Mariupol gibt einen eindrücklichen Dokumentarfilm: «20 Tage Mariupol»
Der Verein «Ukrainehilfe mit Herz», den das Allschwiler Ehepaar Marcel und Michelle Kübler gegründet hat, sammelt Hilfsgüter und bringt sie persönlich in die Ukraine, der Kirchenbote berichtete.
Spendeninformationen finden Sie auf der Website www.ukrainehilfemitherz.ch
«Wir schauen hin, wir schauen nicht weg»