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Thaler Kulturbuch

Wo die vielen Künstler wohnen

von Tilmann Zuber
min
30.04.2024
Pfarrer Burkhard Müller-Ludwig aus Welschenrohr hat ein besonderes Projekt ins Leben gerufen: das Thaler Kulturbuch, gestaltet von den vielen Künstlerinnen und Künstlern aus dieser Gegend. Fritz Guggisberg hat den Anfang gemacht.

Die Wintersonne scheint durch die kahlen Buchen. Schwarz hebt sich der Schattenberg ab. «De gröscht Höger isch di Röti», sagt Fritz Guggisberg in breitem Berndeutsch und zeigt auf die gegenüberliegende Hügelkette in Welschenrohr.

Viele finden hier in den Hügeln des Jura ihren persönlichen Kraftort, der sie mit etwas Grösserem verbindet.

Die Gegend um das Dorf ist bekannt für ihre Naturschönheiten. Dort, im Naturpark Thal, ist auch der Wisent, der europäische Ur-Bison, angesiedelt worden. Weniger bekannt ist, dass es in der Region auch viele Künstlerinnen und Künstler gibt. «Das ist aber so», bestätigt Burkhard Müller-Ludwig aus Welschenrohr.

Aufgefallen ist das dem Pfarrer bei seinen Hausbesuchen, als er in etlichen Stuben Bilder entdeckte, die er als Laie schön und eindrücklich empfand. Auf seine Frage, von wem diese Bilder stammten, hiess es oft: von Menschen, die hier leben. Er führt diese Kreativität auf den Naturraum zurück, der die Bewohner und Bewohnerinnen inspiriert. «Viele finden hier in den Hügeln des Jura ihren persönlichen Kraftort, der sie mit etwas Grösserem verbindet. Manche nennen es Gott.»

Einen Moment festhalten

Um all der künstlerischen Kreativität Raum zu geben, hat der reformierte Pfarrer ein besonderes Projekt ins Leben gerufen: Künstler aus der Region sollen sich mit einem Werk in einem grossen Buch verewigen. Das in Leder gebundene alte Buch mit vielen leeren Seiten hat er als Pastor in Mecklenburg gekauft. Das erste Bild hat Fritz Guggisberg mit Tusche und Buntstiften gemalt. Das Thaler Kulturbuch wird der Öffentlichkeit erstmals am 19. Mai vorgestellt.

Es wird Morgen, auch wenn wir uns auf der Welt noch so dumm anstellen und ständig streiten.

Guggisbergs Bild trägt den Titel «Vertrauen» und zeigt den Schattenberg, über dem gerade die Sonne aufgeht. Einzelne Strahlen dringen über den dunklen Hügelkamm und tauchen die Szene in ein magisches Licht. Die Idee kam Guggisberg, als er am Morgen den Weg von seiner Tochter herunterkam und auf den gegenüberliegenden Hügel blickte. Da sei ihm sofort klar gewesen, dass er diesen Moment mit seiner Stimmung festhalten müsse.

Und so machte er sich an die Arbeit. Zehntausende von Tuschelinien setzte er nebeneinander und kolorierte sie anschliessend mit Buntstiften. Eineinhalb Monate brauchte er für das Bild, das nun im neuen Thaler Kulturbuch zu sehen ist. Und warum er das Bild «Vertrauen» nennt? «Es wird Morgen», antwortet Guggisberg lakonisch, «auch wenn wir uns auf der Welt noch so dumm anstellen und ständig streiten.»

Vibrierende Landschaften

Wie er seine Kunst nennt? «Minimalistisch», sagt der 69-Jährige. Mal naturalistisch, mal abstrakt. Der Berner besuchte die Kunstgewerbeschule in Bern und erlernte dort das Handwerk des Malers. Es folgten Aufenthalte in Paris und in der Provence, wo er sich weiterbildete.

Mit seiner Familie zog er zuerst in ein altes Bauernhaus in Beinwil und später in eine ehemalige Uhrenfabrik in Welschenrohr. Die Wohnung erinnert noch heute an die Ateliers der Uhrmacher. Hell fällt das Licht durch die grossen Fenster ins Wohnzimmer. In der offenen Küche steht noch der schwarze, ausladende Ofen, mit dem früher die Werkstatt geheizt wurde.

Zeichnen und Malen heisst vor allem Sehenlernen.

Fritz Guggisberg malt gerne Waldlandschaften und Ausschnitte aus der Natur. Durch die Aneinanderreihung der unendlich vielen kurzen Striche und Schraffuren entstehen Landschaften und Wälder, die zu vibrieren beginnen. Man meint, den Wind in den Blättern zu sehen oder das Sonnenlicht, das sich im Schatten der Baumkronen bricht.

«Zeichnen und Malen heisst vor allem Sehenlernen», sagt Fritz Guggisberg. Man müsse die Augen offen haben und bereit sein, hinzuschauen und auf all die Zusammenhänge und Eindrücke zu achten, die sich mit dem Bild verbinden. Manchmal könne er tagelang nicht schlafen, weil ihn die Bilder umtreiben, erzählt Guggisberg.

Wir sind ein Resonanzkörper, der die Umgebung aufnimmt und zum Klingen bringt.

Wer spricht dahinter?

Burkhard Müller-Ludwig möchte gerne lernen, besser zu sehen, und auch andere dazu anregen. «Wir sind ein Resonanzkörper, der die Umgebung aufnimmt und zum Klingen bringt.» Als Menschen seien wir Teil eines Naturraumes, der zu uns sprechen kann. «Die grosse Frage lautet: Wer spricht dahinter?» Wenn wir lernen, das so wahrzunehmen, leben wir nicht mehr getrennt von allem in einem Subjekt-Objekt-Verhältnis, sondern sind verbunden und versöhnt mit unserer Umgebung.

Ein Kollege von Müller-Ludwig hält die Umwelt mit der Kamera fest, zunächst grössere Objekte und Landschaften. Inzwischen sei er bei Moosen, Flechten und Eisbildern angelangt. «Wenn man am kalten Morgen die unglaublichen Formen der Eisbilder an den Fensterscheiben sieht, kann man nur staunen», fügt Fritz Guggisberg hinzu. Deshalb denke er sich oft: «Warum soll ich in einen Flieger steigen, wenn ich morgens aus dem Haus gehen kann und diese ganze Schöpfung vor mir habe?»

Pfingsten, 19. Mai, 10–16 Uhr: Vorstellung «Thaler Kulturbuch» am Kulturtag Thal, Träffpunkt Thalhof in Welschenrohr

 

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