«Wort zum Sonntag» – der Dauerbrenner wird 70 Jahre alt
Am 6. Juni 1954 flimmerte das «Wort zum Sonntag» zum ersten Mal über die Schweizer Bildschirme. Sie hiess damals noch «Zum heutigen Sonntag», wurde am Sonntagabend ausgestrahlt und dauerte 10 Minuten. Erster Sprecher war der reformierte Pfarrer Kurt Naef aus Wildegg.
Neben der Tagesschau gehört das «Wort zum Sonntag» zu den ältesten Sendungen des Schweizer Fernsehens. Oft als Pinkelpause der Fernsehnation belächelt, erreicht die dreieinhalbminütige Sendung bis heute ein breites Publikum. Durchschnittlich 257’000 Zuschauerinnen und Zuschauer verfolgen am Samstagabend, was ihnen Pfarrerinnen und Pfarrer, Priester und Theologinnen über Welt und Gesellschaft zu sagen haben. Gerade im Wort liegt die Stärke der Sendung. «Das Wort zum Sonntag» ist nach wie vor eine der wenigen Meinungssendungen von SRF.
Wie erklärt sich der anhaltende Erfolg der Sendung, gerade angesichts der Kirchenaustritte? Das «Wort zum Sonntag» sei für viele Zuschauerinnen und Zuschauer ein Stück Heimat, sagt Norbert Bischofberger, SRF-Fachredaktor Religion. «Die Sprecherinnen und Sprecher bieten Orientierung aus christlicher Sicht zu ethischen und religiösen Themen und Fragen der Zeit. Und, so Bischofberger: «Gut die Hälfte der Schweizer Bevölkerung gehört nach wie vor einer Landeskirche an.»
Legendär: Pfarrer Ernst Sieber kämpfte sich 1980 mit einem bockigen Esel durch den Schnee. | SRF Play Suisse
Von der Kurzpredigt zum Kommentar
Die Initiative für die Sendung ging von den Kirchen aus. Am Anfang stand die christliche Verkündigung im Zentrum. Das Konzept war so einfach wie schlicht: Pfarrer, Pfarrerinnen und katholische Geistliche kommentierten das Zeitgeschehen aus christlicher Sicht. In den siebziger Jahren wurde der Rahmen gelockert: Aus der Kurzpredigt mit manchmal klerikalem Unterton wurde ein Kommentar zum Zeitgeschehen. Norbert Bischofberger charakterisierte die Sendung als «Wortbeitrag mit grosser Wirkung».
Und Wirkung hatte die Sendung vor allem ab den 1980er Jahren. Unvergessen sind die Auftritte des Obdachlosenpfarrers Ernst Sieber, der mit seinem Esel im Schneegestöber vor laufender Kamera für mehr Solidarität warb. Später sprengte Sieber symbolisch, wie ein alttestamentlicher Prophet, einen Bilderrahmen und fügte ihn zu einem Kreuz zusammen. In Erinnerung bleibt auch, wie Irene Gysel im Neoprenanzug auf einem Surfbrett predigte.
Irene Gysel hielt 1996 das «Wort zum Sonntag» auf einem Surfbrett. | SRF Play Suisse
Verweis vom Bischof
Als die katholische Theologin Monika Schmid 2008 die katholische Kirche für deren Wegschauen bei sexuellen Übergriffen von Priestern kritisierte, schaltete sich die Kurie ein. Schmid erhielt einen Verweis vom Bischof, später wurde sie für ihr mutiges Wort mit dem Herbert-Haag-Preis ausgezeichnet.
Und Not lehrt beten: Als Simon Gebs mitten in der Corona-Krise vor die Kamera trat, verfolgten 600'000 Zuschauerinnen und Zuschauer die Worte des Zolliker Pfarrers. Ein Rekord.
Heute geht es ruhiger zu: Fehlen dem «Wort zum Sonntag» die kantigen Typen? Darf eine tätowierte Pfarrerin am Bildschirm sprechen? Für Bischofberger kein Problem: «Fernsehen lebt von Charakteren, da würden wir nicht nein sagen.» Man sei ständig auf der Suche nach kameratauglichen Persönlichkeiten. Gerne hätten sie jüngere Mönche und Nonnen als Sprecher gehabt, doch die Klöster lehnten ab.
Das «Wort zum Sonntag» ist auch ein Zeitzeugnis, wie sich Gesellschaft und Kirche in siebzig Jahren verändert haben. In den ersten Sendungen, spartanisch und in Schwarzweiss, kommentieren Geistliche im Anzug und mit akkurat gebundener Krawatte vor einer weisser Wand den Lauf der Welt. Später fällt die Krawatte weg, nun sehen die Sprecherinnen und Sprecher in ihren bunten, grob gestrickten Pullovern eher aus wie Sozialarbeiter als wie Geistliche. Und die Sendung wird unter freiem Himmel aufgezeichnet.
Neuer Auftritt
Seit April letzten Jahres präsentiert sich das «Wort zum Sonntag» mit einem neuen Intro. Statt mit der Berner Heiliggeistkirche beginnt die Sendung mit Aufnahmen von Strassenszenen. Für Bischofberger ergibt das Sinn: «Wie einst der Apostel Paulus auf dem Marktplatz predigte, so geht auch das Wort zum Sonntag unter die Leute.» Auch technisch gibt es einige Neuerungen. Gedreht wird im Tagesschau-Studio, die Kameraführung ist automatisch, es gibt keinen Teleprompter mehr. Die Sprecherinnen und Sprecher müssen ihren Beitrag auswendig können.
Das aktuelle Team besteht aus zwei Frauen und drei Männern. Auf reformierter Seite sind dies die Berner Pfarrerin Lea Wenger-Scherler und der Burgdorfer Pfarrer Manuel Dubach, auf römisch-katholischer Seite Ines Schaberger und Ruedi Heim und auf christkatholischer Seite Pfarrer Lenz Kirchhofer.
Norbert Bischofberger ist überzeugt, dass das Team «seine Sache gut und profiliert macht und auch Klartext spricht. Etwa zu Antisemitismus, zu sexuellen Übergriffen in Kirchen oder zur Anerkennung der LGTBQ-Community.
Auch in Zukunft noch gefragt?
Am Samstag, 8. Juni, 20 Uhr, strahlt das SRF eine Jubiläumssendung von fünf Minuten aus, in der die Theologin Ines Schaberger die Höhepunkte des «Wort zum Sonntag» aus 70 Jahren präsentiert. Es werden unter anderem die Beiträge von Alfred Meier, Ernst Sieber, Sibylle Forrer und Irene Gysel gezeigt.
Und wie sieht die Zukunft aus? Gibt es die Sendung noch in 70 Jahren? «Fragen um Religion, Spiritualität und Philosophie stossen heute und hoffentlich auch in Zukunft auf grosse Beliebtheit», meint Norbert Bischofberger. «Ich gehe davon aus, dass die Sendung in irgendeiner Form bestehen bleibt.«
«Wort zum Sonntag» – der Dauerbrenner wird 70 Jahre alt