Zuflucht und Abweisung
Noch nie in der Menschheitsgeschichte waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Die Flüchtenden haben in der Regel Schreckliches erlebt, befinden sich meist in einer prekären Situation und wissen nicht, was die Zukunft bringen wird.
Fliehen mussten Menschen auch vor der Vernichtung im Holocaust, einzig und allein deshalb, weil sie Juden waren. Und selbst wenn sie es in ein vermeintlich sicheres Fluchtland geschafft hatten, lebten sie in der ständigen Angst vor drohender Abschiebung.
Bald keine Zeitzeugen mehr
Noch können lebende Zeitzeugen wie Julius Katz aus Birmingham von ihren Erlebnissen mit den damaligen Zollbehörden berichten. So geschehen im Rahmen der Ausstellungseröffnung Mitte Mai. Der heute 90-Jährige erzählte, wie er im Sommer 1938 im Alter von zehn Jahren mit seinen beiden Geschwistern zum ersten Mal am Badischen Bahnhof stand und auf eine Einreise in die Schweiz hoffte. Aufgrund glücklicher Umstände gewährten die Behörden der Familie Katz einen begrenzten Aufenthalt in der Schweiz, bis der Familie nach einigen Wochen dank eines Visums die Flucht nach England gelang. Nicht allen war in jener Zeit solches Glück beschieden. Darüber berichten Einzelschicksale in der neuen Dauerausstellung der Gedenkstätte, die von Gabriele Bergner kuratiert wurde im Auftrag von Johannes Czwalina, dem Initiator der Gedenkstätte. Beschrieben werden Schicksale von Menschen während des Zweiten Weltkrieges an der Basler Grenze, die mehr oder weniger Glück hatten. Sie alle sind aber im Gegensatz zu Julius Katz nicht mehr am Leben.
Angst vor Überfremdung
Am 13. August 1942 beschloss der Bundesrat, alle jüdischen Flüchtlinge zurückzuweisen, auch wenn diese an «Leib und Leben» bedroht seien. In der Schweizer Bevölkerung herrschte damals die Angst vor Überfremdung. Als «unerwünscht» galten speziell «diejenigen ausländischen Elemente», die «unseren Arbeitsmarkt belasten». Die Schliessung der Grenzen für alle jüdischen Flüchtlinge bedeutete, dass nur jene gerettet waren, denen es gelang, sowohl die deutsche als auch die schweizerische Grenze zu überwinden. Besonders die grüne Grenze zwischen Weil am Rhein, Tüllinger Berg, Maienbühl bei Inzlingen, Chrischona und Grenzacher Horn bot Möglichkeiten zur Flucht. Aber auch gefährlichere Fluchten wie das Durchschwimmen des Rheins oberhalb Basels oder der Absprung aus fahrenden Zügen waren verbreitet. Insbesondere in Riehen sprangen die Flüchtlinge aus Zügen der Wiesentalbahn.
Insgesamt beherbergte die Schweiz bis Mai 1945 knapp 300 000 Menschen, was rund sieben Prozent der damaligen Gesamtbevölkerung entsprach. Dazu zählten internierte Militärpersonen, temporär aufgenommene Grenzflüchtlinge, Kinder auf Erholungsur laub, Zivilflüchtlinge, Emigranten und politische Flüchtlinge. Unter den Schutzsuchenden befanden sich etwa 21 300 Juden und Menschen christlicher Konfession, die wegen ihrer jüdischen Herkunft verfolgt wurden. Über 24 000 Flüchtlinge wurden an den Schweizer Grenzen abgewiesen.
Toni Schürmann, 24. Mai, 2018
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Gedenkstätte für Flüchtlinge,
Inzlingerstrasse 44, Riehen
Öffnungszeiten:
Täglich 9 bis 17 Uhr. Eintritt frei.
www.gedenkstaetteriehen.ch
Zuflucht und Abweisung