Zum zweiten Mal «Eins» geworden
Es war ein nasser Dienstagnachmittag. Die Wolken hingen grau in grau über dem Pilatus, der Regen wollte nicht nachlassen. Ungeachtet dessen, trafen sich rund vierzig Vertreter aus Politik und Kirche auf der grünen Wiese am General Guisan Quai. Zufälligen Passanten bot sich ein seltenes Bild: Die Kirchenleitungen aller grossen Religionsgemeinschaften des Kantons Luzern waren erschienen und setzten ein starkes Zeichen für die Ökumene.
Die Vertreterinnen und Vertreter der Evangelisch-Reformierten Kirche, der Katholiken, der Christkatholischen Kirche, der jüdischen und muslimischen Gemeinschaften kamen alle zur Einweihung der «Skulptur der Gemeinschaft – damit ihr Eins werdet», auf Einladung des Luzerner Stadtrats Adrian Borgula. Ursula Stämmer-Horst, von 2000 und 2016 Stadträtin in Luzern, und danach Synodalratspräsidentin der Evangelisch-Reformierten Landeskirche im Kanton Luzern, hatte das Projekt vor fünf Jahren initiiert. Sie hatte sich seit langem für das verschollene Kunstobjekt interessiert, mit dem Ziel, es wieder sichtbar zu machen. Ursula Stämmer-Horst verstarb jedoch, bevor sie das Projekt realisieren konnte. Ihre Kolleginnen und Kollegen im Synodalrat setzten nun um, was sie angestossen hatte.
Statuen-Enthüllung zum Zweiten
Stadtrat Adrian Borgula erinnerte die Zuschauer daran, dass die Skulptur just am gleichen Ort schon einmal enthüllt worden war, im Dezember 1963. Sie war damals im Zeichen der aufkeimenden Ökumene unter anderem von Otto Karrer in Auftrag gegeben worden. Der in Luzern lebende und wirkende katholische Pfarrer hatte die Ökumene angestossen und vorangetrieben. Später wurde die Statue mehrfach von Vandalen heimgesucht. Nur der Gedenkstein mit der Inschrift «Auf dass ihr Eins werdet» blieb erhalten. «Das ist eine klare Botschaft», sagte Stadtrat Adrian Borgula. Innerhalb der Kirchen stehe sie als Zeichen für die Ökumene und Zusammenarbeit. Weltlich gesehen bedeute sie das Zusammenwachsen dessen, was auseinander geraten sei. Gerade die Stadt Luzern würde sich dafür einsetzen, zu vermitteln. «Eins werden heisst nicht gleich werden, sondern sich gemeinsam für ein Ziel einzusetzen.»
Die Skulptur wurde getreu der ursprünglichen Statue des Künstlers Rolf Luethi rekonstruiert. Piet Luethi, Sohn des verstorbenen Künstlers, hatte im Archiv seines Vaters dessen alte Skizzen gefunden. «Es war eine Herausforderung, eine Bronzestatue so filigran zu replizieren» sagte er. Doch man habe eine gute Lösung gefunden. «Meinem Vater war es sehr wichtig, dass die Skulptur Lust macht, sie anzufassen, sie soll leben, soll ein generationenübergreifendes Symbol sein.» Auf der Statue seien zwei Flammen zu sehen, weil in den 1960er Jahren die Ökumene von zwei Kirchen angestossen worden sei. «Es wäre schön, wenn sich künftig alle Religionsgemeinschaften an der Ökumene beteiligen würden.»
Enthüllung der ökumenischen Skulptur durch Piet Luethi (links) und Adrian Borgula. «Meinem Vater war es sehr wichtig, dass die Skulptur Lust macht, sie anzufassen», sagt Pieth Luethi, Sohn des verstorbenen Künstlers Rolf Luethi. | Foto: Emanuel Ammon
Auch bei der Einweihung vor 60 Jahren herrschte Krieg
Lilian Bachmann, Synodalratspräsidentin der Evangelisch-Reformierten Landeskirche Luzern, erinnerte daran, dass die Einweihung der ursprünglichen Statue zu einer ganz anderen Zeit stattgefunden hatte. Damals herrschte Kalter Krieg, der Vietnamkrieg war in vollem Gange, die Berliner Mauer war gerade frisch errichtet worden. Heute, 60 Jahre später, sei Europa erneut geprägt vom Krieg. In Zeiten, in denen Polarisierung, Spaltung und Konflikte die Schlagzeilen dominieren, sei es umso wichtiger, dass man die verbindenden Werte lebt. «In der Kirche führen wir den Dialog mit den Religionsgemeinschaften ökumenisch und interreligiös.» Hierfür stünden die Flammen auf der Statue. Als Zeichen der Gemeinschaft und des Dialogs.
Die katholische Kirche war durch Hanspeter Wasmer vom Bischofsvikariat des Bistums Basel und Annegreth Bienz-Geisseler, Präsidentin des Synodalrates der katholischen Kirche des Kantons Luzern, vertreten. Die katholische Kirche sei nicht sehr reformfreudig, sagte Hanspeter Wasmer, sie sei es auch zu Zeiten Martin Luthers nicht gewesen. Dennoch würden sich immer wieder Reformen durchsetzen. Gerade auch, was die Ökumene betreffe. In diesem Punkt verwies er auf Papst Johannes den 23. «Was uns verbindet ist wesentlich mehr, als uns trennt», habe dieser stets gesagt. Bereits 1960 habe Johannes der 23. ein Sekretariat für die Einheit der Christen eingerichtet, noch vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das für die Ökumene einen Durchbruch bedeutete.
Einzig der Gedenkstein blieb übrig von der verwüsteten
ersten Skulptur. | Foto: Emanuel Ammon
Luzerner Selbstverpflichtung zur Ökumene seit 2004
Annegreth Bienz-Geisseler hob die Vorreiter Rolle der Ökumene im Kanton Luzern hervor. «Nach einem gewissen Stillstand der Ökumene nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil haben sich die christlichen Kirchen im Kanton Luzern für die Schaffung einer Charta Oecumenica entschieden». Es ist eine Selbstverpflichtung der drei Luzerner Landeskirchen, die 2004 von der evangelischen, der römisch katholischen und der christkatholischen Landeskirche unterzeichnet wurde. Diese bildet bis heute die Grundlage für die ökumenische Zusammenarbeit der drei Kirchen in Luzern. Sie enthält 12 Zielformulierungen, unter anderem das gemeinsame Verkünden des Evangeliums, das gemeinsame Handeln, Beten und Mitgestalten des Kantons, sowie die Förderung und Begegnung mit anderen Religionen und Weltanschauungen.
Adrian Suter, Pfarrer der Christkatholischen Kirchgemeinde Luzern, ging ebenfalls auf die Charta Oecumenica ein. Ein Vertreter seiner Kirche habe einmal gewitzelt, dieses Papier sei zwar schön und gut, aber man mache Ökumene erst, wenn alles andere, viel wichtigere, erledigt sei. «Doch es ist gerade umgekehrt. Man muss stets von Anfang an versuchen, interreligiös zusammen zu arbeiten.» Schöne Sonntagsreden zu halten reiche eben nicht. Die Zusammenarbeit müsse konkret werden. Die Charta Oecumenica habe einen starken Impuls für die Zusammenarbeit im Kanton Luzern gesetzt. «Diese Skulptur macht sichtbar, dass die Luzerner Landeskirchen gemeinsam unterwegs sind».
Finanziert wurden die Statue durch die Stadt Luzern, die Albert Koechlin Stiftung AKS, die Josef Müller Stiftung, die Katholische Kirche im Kanton Luzern, die Reformierte Kirche Kanton Luzern und die Christkatholische Kirchgemeinde Luzern.
Zum zweiten Mal «Eins» geworden